Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Was Ich brauche und wonach Ich Hunger habe, das wird Mir durch keine Gnade mehr gewährt, durch die Jungfrau Maria, durch Fürsprache der Heiligen, oder durch die lösende und bindende Kirche, sondern Ich verschaffe Mir's selber. Kurz Mein Sein (das sum) ist ein Leben im Himmel des Denkens, des Geistes, ein cogitare. Ich selber aber bin nichts anderes als Geist, als denkender (nach Cartesius), als Gläubiger (nach Luther). Mein Leib, das bin Ich nicht; Mein Fleisch mag leiden von Gelüsten oder Qualen. Ich bin nicht Mein Fleisch, sondern Ich bin Geist , nur Geist.
Dieser Gedanke durchzieht die Reformationsgeschichte bis heute.
Erst die neuere Philosophie seit Cartesius hat Ernst damit gemacht, das Christentum zu vollendeter Wirksamkeit zu bringen, indem sie das »wissenschaftliche Bewußtsein« zum allein wahren und geltenden erhob. Daher beginnt sie mit dem absoluten Zweifel , dem dubitare, mit der »Zerknirschung« des gemeinen Bewußtseins, mit der Abwendung von Allem, was nicht durch den »Geist«, das »Denken« legitimiert wird. Nichts gilt ihr die Natur , nichts die Meinung der Menschen, ihre »Menschensatzungen«, und sie ruht nicht, bis sie in Alles Vernunft gebracht hat und sagen kann »das Wirkliche ist das Vernünftige und nur das Vernünftige ist das Wirkliche«. So hat sie endlich den Geist, die Vernunft zum Siege geführt, und Alles ist Geist, weil Alles vernünftig ist, die ganze Natur so gut als selbst die verkehrtesten Meinungen der Menschen Vernunft enthalten: denn »es muß ja Alles zum Besten dienen«, d. h. zum Siege der Vernunft führen.
Das dubitare des Cartesius enthält den entschiedenen Ausspruch, daß nur das cogitare, das Denken, der Geist – sei . Ein vollkommener Bruch mit dem »gemeinen« Bewußtsein, welches den unvernünftigen Dingen Wirklichkeit zuschreibt! Nur das Vernünftige ist, nur der Geist ist! Dies ist das Prinzip der neueren Philosophie, das echt christliche. Scharf schied schon Cartesius den Körper vom Geiste, und »der Geist ist's, der sich den Körper baut« sagt Goethe.
Aber diese Philosophie selbst, die christliche, wird doch das Vernünftige nicht los und eifert darum gegen das »bloß Subjektive«, gegen die »Einfälle, Zufälligkeiten, Willkür« usw. Sie will ja, daß das Göttliche in Allem sichtbar werden soll, und alles Bewußtsein ein Wissen des Göttlichen werde und der Mensch Gott überall schaue; aber Gott ist eben nie ohne den Teufel .
Ein Philosoph ist eben darum Derjenige nicht zu nennen, welcher zwar offene Augen für die Dinge der Welt, einen klaren und unverblendeten Blick, ein richtiges Urteil über die Welt hat, aber in der Welt eben nur die Welt, in den Gegenständen nur die Gegenstände, kurz Alles prosaisch, wie es ist, sieht, sondern ein Philosoph ist allein Derjenige, welcher in der Welt den Himmel, in dem Irdischen das Überirdische, in dem Weltlichen das – Göttliche sieht und nachweist oder beweist. Jener mag noch so verständig sein, es bleibt doch dabei: Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt. Dies kindliche Gemüt macht erst den Philosophen, dieses Auge für das Göttliche. Jener hat nur ein »gemeines« Bewußtsein, wer aber das Göttliche weiß und zu sagen weiß, der hat ein »wissenschaftliches«. Aus diesem Grunde verwies man den Baco aus dem Reiche der Philosophen. Und weiter scheint allerdings Dasjenige, was man englische Philosophie nennt, es nicht gebracht zu haben, als zu den Entdeckungen sogenannter »offener Köpfe«, wie Bacon und Hume waren. Die Einfalt des kindlichen Gemütes wußten die Engländer nicht zu philosophischer Bedeutung zu erheben, wußten nicht aus kindlichen Gemütern – Philosophen zu machen. Dies heißt so viel als: ihre Philosophie vermochte nicht, theologisch oder Theologie zu werden, und doch kann sie nur als Theologie sich wirklich ausleben , sich vollenden. In der Theologie ist die Wahlstatt ihres Todeskampfes. Bacon bekümmerte sich nicht um die theologischen Fragen und Kardinalpunkte.
Am Leben hat das Erkennen seinen Gegenstand. Das deutsche Denken sucht mehr als das der Übrigen zu den Anfängen und Quellpunkten des Lebens zu gelangen, und sieht im Erkennen selbst erst das Leben. Cartesius' cogito, ergo sum hat den Sinn: Man lebt nur, wenn man denkt. Denkendes Leben heißt: »geistiges Leben«! Es lebt nur der Geist, sein Leben ist das wahre Leben. Ebenso sind dann in der Natur nur die »ewigen Gesetze«, der Geist oder die Vernunft der Natur
Weitere Kostenlose Bücher