Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
das wahre Leben derselben. Nur der Gedanke, im Menschen, wie in der Natur, lebt; alles Andere ist tot! Zu dieser Abstraktion, zum Leben der Allgemeinheiten oder des Leblosen muß es mit der Geschichte des Geistes kommen. Gott, welcher Geist ist, lebt allein. Es lebt nichts als das Gespenst.
Wie kann man von der neueren Philosophie oder Zeit behaupten wollen, sie habe es zur Freiheit gebracht, da sie Uns von der Gewalt der Gegenständlichkeit nicht befreite? Oder bin Ich etwa frei vom Despoten, wenn Ich mich zwar vor dem persönlichen Machthaber nicht fürchte, aber vor jeder Verletzung der Pietät, welche Ich ihm zu schulden wähne? Nicht anders verhält es sich mit der neueren Zeit. Sie verwandelte nur die existierenden Objekte, den wirklichen Gewalthaber usw. in vorgestellte , d. h. in Begriffe , vor denen der alte Respekt sich nicht nur nicht verlor, sondern an Intensität zunahm. Schlug man auch Gott und dem Teufel in ihrer vormaligen krassen Wirklichkeit ein Schnippchen, so widmete man nur um so größere Aufmerksamkeit ihren Begriffen. »Den Bösen sind sie los, das Böse ist geblieben.« Den bestehenden Staat zu revoltieren, die bestehenden Gesetze umzustürzen, trug man wenig Bedenken, da man einmal entschlossen war, sich von dem Vorhandenen und Handgreiflichen nicht länger imponieren zu lassen; allein gegen den Begriff des Staates zu sündigen, dem Begriffe des Gesetzes sich nicht zu unterwerfen, wer hätte das gewagt? So blieb man »Staatsbürger« und ein »gesetzlicher«, loyaler Mensch; ja man dünkte sich nur um so gesetzlicher zu sein, je rationalistischer man das vorige mangelhafte Gesetz abschaffte, um dem »Geiste des Gesetzes« zu huldigen. In alledem hatten nur die Objekte eine Umgestaltung erlitten, waren aber in ihrer Übermacht und Oberhoheit verblieben; kurz, man steckte noch in Gehorsam und Besessenheit, lebte in der Reflexion , und hatte einen Gegenstand, auf welchen man reflektierte, den man respektierte, und vor dem man Ehrfurcht und Furcht empfand. Man hatte nichts anderes getan, als daß man die Dinge in Vorstellungen von den Dingen, in Gedanken und Begriffe verwandelte, und die Abhängigkeit um so inniger und unauflöslicher wurde. So hält es z. B. nicht schwer, von den Geboten der Eltern sich zu emanzipieren, oder den Ermahnungen des Onkels und der Tante, den Bitten des Bruders und der Schwester sich zu entziehen; allein der aufgekündigte Gehorsam fährt einem leicht ins Gewissen, und je weniger man auch den einzelnen Zumutungen nachgibt, weil man sie rationalistisch aus eigener Vernunft für unvernünftig erkennt, desto gewissenhafter hält man die Pietät, die Familienliebe fest, und vergibt sich um so schwerer eine Versündigung gegen die Vorstellung , welche man von der Familienliebe und der Pietätspflicht gefaßt hat. Von der Abhängigkeit gegen die existierende Familie erlöst, fällt man in die bindendere Abhängigkeit von dem Familienbegriff: man wird vom Familiengeiste beherrscht. Die aus Hans und Grete usw. bestehende Familie, deren Herrschaft machtlos geworden, ist nur verinnerlicht, indem sie als »Familie« überhaupt übrig bleibt, auf welche man eben nur anwendet den alten Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als dem Menschen, dessen Bedeutung hier diese ist: Ich kann zwar Euren unsinnigen Anforderungen Mich nicht fügen, aber als meine »Familie« bleibt Ihr doch der Gegenstand meiner Liebe und Sorge; denn »die Familie« ist ein heiliger Begriff, den der Einzelne nie beleidigen darf. – Und diese zu einem Gedanken, einer Vorstellung, verinnerlichte und entsinnlichte Familie gilt nun als das »Heilige«, dessen Despotie noch zehnmal ärger ist, weil sie in meinem Gewissen rumort. Diese Despotie wird nur gebrochen, wenn auch die vorgestellte Familie Mir zu einem Nichts wird. Die christlichen Sätze: »Weib, was habe Ich mit Dir zu schaffen?« »Ich bin kommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter« und andere werden von der Verweisung auf die himmlische oder eigentliche Familie begleitet, und bedeuten nicht mehr, als die Forderung des Staates, bei einer Kollision zwischen ihm und der Familie, seinen Geboten zu gehorchen.
Ähnlich, wie mit der Familie, verhält sich's mit der Sittlichkeit. Von der Sitte sagt sich Mancher los, von der Vorstellung »Sittlichkeit« sehr schwer. Die Sittlichkeit ist die »Idee« der Sitte, ihre geistige Macht, ihre Macht über die Gewissen; dagegen die Sitte zu materiell ist, um den Geist zu
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