Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
beherrschen, und einen »geistigen« Menschen, einen sogenannten Unabhängigen, einen »Freigeist« nicht fesselt.
Der Protestant mag es anstellen, wie er will, heilig bleibt ihm doch die »heilige Schrift«, das »Wort Gottes«. Wem dies nicht mehr »heilig« ist, der hat aufgehört ein – Protestant zu sein. Hiermit bleibt ihm aber auch heilig, was in ihr »verordnet« ist, die von Gott eingerichtete Obrigkeit usw. Diese Dinge bleiben ihm unauflöslich, unnahbar, »über allem Zweifel erhaben«, und da der Zweifel , der in der Praxis ein Rütteln wird, des Menschen Eigenstes ist, so bleiben diese Dinge über ihm selbst »erhaben«. Wer nicht davon loskommen kann, der wird – glauben ; denn daran glauben heißt daran gebunden sein. Dadurch, daß im Protestantismus der Glaube ein innerlicherer wurde, ist auch die Knechtschaft eine innerlichere geworden: man hat jene Heiligkeiten in sich aufgenommen, sie mit seinem ganzen Dichten und Trachten verflochten, sie zur » Gewissenssache « gemacht, sich eine » heilige Pflicht « aus ihnen bereitet. Darum ist dem Protestanten heilig das, wovon sein Gewissen nicht loskommen kann, und die Gewissenhaftigkeit bezeichnet am deutlichsten seinen Charakter.
Der Protestantismus hat den Menschen recht eigentlich zu einem »Geheimen-Polizei-Staat« gemacht. Der Spion und Laurer »Gewissen« überwacht jede Regung des Geistes, und alles Tun und Denken ist ihm eine »Gewissenssache«, d. h. Polizeisache. In dieser Zerrissenheit des Menschen in »Naturtrieb« und »Gewissen« (innerer Pöbel und innere Polizei) besteht der Protestant. Die Vernunft der Bibel (an Stelle der katholischen »Vernunft der Kirche«) gilt als heilig, und dies Gefühl und Bewußtsein, daß das Bibelwort heilig sei, heißt – Gewissen. Damit ist denn die Heiligkeit einem »ins Gewissen geschoben«. Befreit man sich nicht vom Gewissen, dem Bewußtsein des Heiligen, so kann man zwar ungewissenhaft, niemals aber gewissenlos handeln.
Der Katholik findet sich befriedigt, wenn er den Befehl vollzieht; der Protestant handelt nach »bestem Wissen und Gewissen«. Der Katholik ist ja nur Laie , der Protestant ist selbst Geistlicher . Das eben ist der Fortschritt über das Mittelalter und zugleich der Fluch der Reformationsperiode, daß das Geistliche vollständig wurde.
Was war die jesuitische Moral anders, als eine Fortsetzung des Ablaßkrames, nur daß der seiner Sünden Entlastete nunmehr auch eine Einsicht in den Sündenerlaß gewann und sich überzeugte, wie wirklich seine Sünde von ihm genommen werde, da es ja in diesem oder jenem bestimmten Falle (Kasuisten) gar keine Sünde sei, was er begehe. Der Ablaßkram hatte alle Sünden und Vergehen zulässig gemacht und jede Gewissensregung zum Schweigen gebracht. Die ganze Sinnlichkeit durfte walten, wenn sie nur der Kirche abgekauft wurde. Diese Begünstigung der Sinnlichkeit wurde von den Jesuiten fortgesetzt, während die sittenstrengen, finstern, fanatischen, bußfertigen, zerknirschten, betenden Protestanten allerdings als die wahren Vollender des Christentums, den geistigen und geistlichen Menschen allein gelten ließen. Der Katholizismus, besonders die Jesuiten leisteten auf diese Weise dem Egoismus Vorschub, fanden innerhalb des Protestantismus selbst einen unfreiwilligen und unbewußten Anhang und retteten Uns vor dem Verkommen und Untergang der Sinnlichkeit . Gleichwohl breitet der protestantische Geist seine Herrschaft immer weiter aus, und da das Jesuitische neben ihm, dem »Göttlichen«, nur das von allem Göttlichen untrennbare »Teuflische« darstellt, so kann es nirgends sich allein behaupten, sondern muß zusehen, wie z. B. in Frankreich endlich das Philistertum des Protestantismus siegt und der Geist obenauf ist.
Dem Protestantismus pflegt das Kompliment gemacht zu werden, daß er das Weltliche wieder zu Ehren gebracht habe, z. B. die Ehe, den Staat usw. Ihm aber ist gerade das Weltliche als Weltliches, das Profane, noch viel gleichgültiger als dem Katholizismus, der die profane Welt bestehen, ja sich ihre Genüsse schmecken läßt, während der vernünftige, konsequente Protestant das Weltliche ganz und gar zu vernichten sich anschickt, und zwar einfach dadurch, daß er es heiligt . So ist die Ehe um ihre Natürlichkeit gebracht worden, indem sie heilig wurde, nicht im Sinne des katholischen Sakramentes, wo sie nur von der Kirche ihre Weihe empfängt, also im Grunde unheilig ist, sondern in dem Sinne, daß sie fortan etwas durch sich Heiliges
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