Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
daß sie gegen Gedanken Mittel der Gewalt ergreift, gegen die Presse mittels der Polizeigewalt der Zensur einschreitet und aus einem literarischen Kampfe einen persönlichen macht. Als ob es sich lediglich um Gedanken handelte, und als ob man gegen Gedanken uneigennützig, selbstverleugnend und aufopfernd sich verhalten müßte! Greifen jene Gedanken nicht die Regierenden selbst an und fordern so den Egoismus heraus? Und stellen die Denkenden nicht an die Angegriffenen die religiöse Forderung, die Macht des Denkens, der Ideen, zu verehren? Sie sollen freiwillig und hingebend erliegen, weil die göttliche Macht des Denkens, die Minerva, auf Seiten ihrer Feinde kämpft. Das wäre ja ein Akt der Besessenheit, ein religiöses Opfer. Freilich stecken die Regierenden selbst in religiöser Befangenheit und folgen der leitenden Macht einer Idee oder eines Glaubens; aber sie sind zugleich ungeständige Egoisten, und gerade gegen die Feinde bricht der zurückgehaltene Egoismus los: Besessene in ihrem Glauben sind sie zugleich unbesessen von dem Glauben der Gegner, d. h. sie sind gegen diesen Egoisten. Will man ihnen einen Vorwurf machen, so könnte es nur der umgekehrte sein, nämlich der, daß sie von ihren Ideen besessen sind.
Gegen die Gedanken soll keine egoistische Gewalt auftreten, keine Polizeigewalt u. dergl. So glauben die Denkgläubigen. Aber das Denken und seine Gedanken sind Mir nicht heilig und Ich wehre Mich auch gegen sie meiner Haut . Das mag ein unvernünftiges Wehren sein; bin Ich aber der Vernunft verpflichtet, so muß Ich, wie Abraham, ihr das Liebste opfern!
Im Reiche des Denkens, welches gleich dem des Glaubens das Himmelreich ist, hat allerdings Jeder Unrecht, der gedankenlose Gewalt braucht, gerade so, wie Jeder Unrecht hat, der im Reiche der Liebe lieblos verfährt, oder, obgleich er ein Christ ist, also im Reiche der Liebe lebt, doch unchristlich handelt: er ist in diesen Reichen, denen er anzugehören meint und gleichwohl ihren Gesetzen sich entzieht, ein »Sünder« oder »Egoist«. Aber er kann auch der Herrschaft dieser Reiche sich nur entziehen, wenn er an ihnen zum Verbrecher wird.
Das Resultat ist auch hier dies, daß der Kampf der Denkenden gegen die Regierung zwar soweit im Rechte, nämlich in der Gewalt ist, als er gegen die Gedanken derselben geführt wird (die Regierung verstummt und weiß literarisch nichts Erhebliches einzuwenden), dagegen im Unrechte, nämlich in der Ohnmacht, sich befindet, soweit er nichts als Gedanken gegen eine persönliche Macht ins Feld zu führen weiß (die egoistische Macht stopft den Denkenden den Mund). Der theoretische Kampf kann nicht den Sieg vollenden und die heilige Macht des Gedankens unterliegt der Gewalt des Egoismus. Nur der egoistische Kampf, der Kampf von Egoisten auf beiden Seiten, bringt Alles ins Klare.
Dies Letzte nun, das Denken selbst zu einer Sache des egoistischen Beliebens, einer Sache des Einzigen, gleichsam zu einer bloßen Kurzweil oder Liebhaberei zu machen und ihm die Bedeutung, »letzte entscheidende Macht zu sein«, abzunehmen, diese Herabsetzung und Entheiligung des Denkens, diese Gleichstellung des gedankenlosen und gedankenvollen Ich's, diese plumpe, aber wirkliche »Gleichheit« – vermag die Kritik nicht herzustellen, weil sie selbst nur Priesterin des Denkens ist und über das Denken hinaus nichts sieht als – die Sündflut.
Die Kritik behauptet z. B. zwar, daß die freie Kritik über den Staat siegen dürfe, aber sie wahrt sich zugleich gegen den Vorwurf, welcher ihr von der Staatsregierung gemacht wird, daß sie »Willkür und Frechheit« sei; sie meint also, »Willkür und Frechheit« dürfen nicht siegen, nur sie dürfe es. Es ist vielmehr umgekehrt: der Staat kann nur von frecher Willkür wirklich besiegt werden.
Es kann nun, um hiermit zu schließen, einleuchten, daß der Kritiker in seiner neuen Wendung sich selber nicht umgewandelt, sondern nur »ein Versehen gut gemacht« hat, »mit einem Gegenstande ins Reine gekommen« ist und zu viel sagt, wenn er davon spricht, daß die »Kritik sich selbst kritisiere«; sie oder vielmehr er hat nur ihr »Versehen« kritisiert und sie von ihren »Inkonsequenzen« geläutert. Wollte er die Kritik kritisieren, so mußte er zusehen, ob an der Voraussetzung derselben etwas sei.
Ich Meinesteils gehe von einer Voraussetzung aus, indem Ich Mich voraussetze; aber meine Voraussetzung ringt nicht nach ihrer Vollendung, wie der »nach seiner Vollendung ringende Mensch«, sondern
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