Der eiserne Gustav
mir, wie macht so eener det? Ick war doch längst im Kittchen!«
Erich preßte die Lippen fest aufeinander und versuchte, den Vater drohend anzusehen. Und wich sofort wieder dem Blick des Alten aus …
Einige in der Tischrunde protestierten: »Nun halt mal die Luft an, Oller! Wir saufen hier nicht Zuckerwasser, um uns dämlich kommen zu lassen!«
»Der Olle ist bloß neidisch!«
»Nee, ick bin bloß dusselig!« sprach Hackendahl wieder. »Ick vasteh un vasteh det nich. Und ick möchte so jerne wat lernen …«
»Das lernen Sie nie!« sprach der Herr mit dem Monokel. »Zu so was muß man geboren sein. Der Herr, von dem Sie sprechen, ist eben dazu geboren …«
»Na ja, jeboren bin ick sicher nich dazu, sonst säß ick oller Mann nich als Hanswurst bei euch jungen Affen.« Beifälliges Gelächter. »Aber kapieren möcht ick et doch mal …«
»Was wollen Sie denn eigentlich kapieren?«
»Na, wat det eigentlich is, ’ne Schiebung. Ick hör immer Schiebung. Aber ick versteh det nich. Wie macht man denn ’ne Schiebung? Ick zerbrech mir meinen Nischel, ick finde nischt zu schieben! Der junge Herr da, ick frage et mit aller Hochachtung, is det valleicht ’n Schieber?«
Und er wies mit dem Finger auf seinen Sohn Erich.
Jetzt waren alle (bis auf Erich Hackendahl) erheitert, auch die Mädchen grinsten. In Nepplokalen war es ein Ruhmestitel, ein Schieber zu sein. »Geld stinkt nicht«, dieser Satz war zur Zeit der erste und höchste Glaubensartikel vieler.
»Und ob der ein Schieber ist! Der ist sogar ein Großschieber!«sprach der Herr mit dem Monokel. »Der verschiebt Sie, und Sie merken das nicht mal!«
»Na also!« sprach Hackendahl. »Na, valleicht, mit de Zeit würde ick et doch erkennen, wenn ick verschoben worden bin. – Junger Mann«, nun wandte er sich direkt an den Sohn, »sei’n Se mal’n bißken nett zu’nem alten Mann. Erzählen Se mir mal, wie Se det machen, wie Se den Dowen det Jeld abknöppen …«
»Ich …«, fing Erich trotzig an. Und er griff zu seinem Glas. »Ich finde es langweilig hier. Wollen wir nicht sehen, daß wir irgendwo anders unterkommen?«
»Junger Mann! Jetzt kommen Se doch nich raus, hören Se nich, wie draußen de Polizei trillert? Det war doch peinlich, wenn Sie auf den Alex müßten. Mir machte det nischt, aber ick bin ooch bloß’n jewöhnlicher Droschkenkutscher …«
»Hackendahl!« rief der Herr mit dem Monokel. »Tun wir dem alten Mann doch mal den Gefallen! Zeigen wir ihm mal, wie Geld gemacht wird! Ich habe sowieso was für Sie …« Ergriff in die Innentasche seines Smokings und brachte ein kleines, für einen so eleganten Herrn recht schmuddeliges Büchlein zum Vorschein. »Wo war es denn?« fragte er blätternd.
»Lassen Sie doch!« bat Erich Hackendahl ärgerlich. »Ich finde das alles so dumm …«
»Bitte, bitte, sei doch nett, Süßer! Mach mal ’ne richtige Schiebung …«
»Ein klein bißchen mehr Vorsicht vor den Ohren der Welt«, warnte leise und freundlich der Anwalt.
»Den Gefallen könnt ihr ’nem ollen Mann doch tun«, bat Hackendahl.
Und genauso hartnäckig wie der Alte sagte der Herr im Smoking: »Was ist denn dabei? Heute schieben doch alle! Der Mann auf der Toilette schiebt mit Koks, Mutter verschiebt die Tochter, die Tochter verschiebt im Warenhaus seidene Strümpfe – alle schieben sie! Und ich habe wirklich was für Sie, Hackendahl. Gebe vier Waggon Silesia, sechsunddreißig.«
»Ach, lassen Sie das doch jetzt, Bronte …«
»Wat is denn Silesia …?«
»Weiß ich nicht. Ich glaube, ’ne Kartoffel – man muß doch nicht wissen, was man verschiebt … Also, Hackendahl!«
»Muß man det nich mal wissen? Großartig!« bewunderte der Alte bereitwillig.
»Lassen Sie mich!« rief Erich wütend. »Ich habe jetzt keine Lust!«
»Denn nicht!«sagte Bronte und wollte sein Notizbuch wegstecken. Doch ein kleiner, beweglicher Mann aus der Tischrunde rief: »Halt, Bronte! Bei Ihnen vier Silesia, sechsunddreißig? Bei mir zwei mit dreißig!«
»Bei Ihnen zwei Silesia mit dreißig, bei mir zwei mit sechsunddreißig!«
»Bei Ihnen zwei mit sechsunddreißig, bei mir zwei mit dreißig ein halb!«
»Bei Ihnen zwei mit dreißig ein halb – bei mir zwei mit fünfunddreißig ein halb!«
Über den Tisch fort, über Sektflaschen und Sektkelche weg warfen sie sich ihre mystischen Handelsformen zu. Alle starrten mit offenem Munde. Von den Nebentischen drehten sie sich um, mit lachenden Gesichtern – aber die Gesichter wurden ehrfürchtig ernst.
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