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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Blücher, nicht als Verräter draußen auf der Straße stehe.
    Aber allmählich, als es gegen elf Uhr ging, füllte sich das Lokal. Immer wieder öffnete sich die Tür hinten zu den Wirtschaftsräumen, zum Kohlenkeller – die von ihrem dunklen Weg verwirrten Gäste schauten erstaunt in das endlich erreichte Lokal. Dann wurde ihnen auf die Schulter geklopft. »Na, Dickerchen, biste ooch da? Deine Freundin Olga sitzt schon da hinten an de Säule. – Wat, ick soll det nich sagen, det is deine Frau? Na, Mensch, kannste einem nich’n bißchen mit de Oojen zuplieren, denn weeß ick doch jleich Paß Achtung! Na, nu is nischt mehr zu machen. Is ooch janz scheene, so’n kleiner Schwerenöter wie unser Dickerchen. Wat denkste, jnädje Frau, wat der hier manchmal anjibt, wenn er dir erzählt hat, er hat ’ne dringende jeschäftliche Verabredung. Aber dir ha’ick doch ooch schon mal jesehn, kleene Frau?! Haste nich mit dem dicken Kahlkopp dahinten jesessen und ihn immer uff de Jlatze jeküßt? Huch, muß Liebe schön sein!«
    Die alten Scherze, das dankbar beifällige Gelächter der Gäste, deren nur noch sachte brennende eheliche Liebe ein wenig geschürt wurde. Dann das vernehmlich hörbare Schweigen, wenn die Weinkarte vorgelegt wurde …
    »’n kleiner Rheinwein? Nee, nu hab dir man nich so, heute jibt et hier nur Sekt. Wat denkste denn, Mensch, ick riskiere Lokalverbot un Kittchen, bloß det ick deinen Affen jetzt noch wat zu lutschen jebe! Hab dir bloß nich so, bei deine kleine Freundin haste dir doch ooch nich so … Nu mach man, Mensch, der Dollar wartet nich uff dir …«
    Und plötzlich, ein neuer Schub Gäste war hereingekommen, das Signal für den eisernen Gustav, sich arbeitsfertig zu machen: »Kinder! Kinder! Nehmt de silbernen Messer vom Tisch! Jetzt kommen die ganz feinen Pinkel, wo nur mit’s silberne Messer essen, wo man ’ne Bauchoperation zahlen muß, will man wieder an sein ehrliches Hab und Jut …«
    Gustav Hackendahl rückte sich behaglich zurecht auf seinem Stuhl. Eine Hand um den Stiel des Glases, in der anderen die Peitsche, den Lackpott in die Stirne gerückt und den Kopf tief auf der Brust, saß er da wie ein echter und rechter Droschkenkutscher, der in der Kneipenwärme ein bißchen eingenickt ist …
    Es war ihm wirklich nach Einnicken, wie durch eine Wand hörte er die Stimmen der neuangekommenen Gäste, der Kellner, des Wirtes … Nun rief eine etwas fette Stimme: »Schampus? Natürlich, nur Schampus!« Etwas klatschte auf den Tisch. »Das Geld kann alle werden, das Geld soll alle werden! Wo das Geld herkommt, gibt’s noch mehr! Da wird es nie alle, so oft man auch melkt – es leben die Dummen! Schampus!«
    Und leiser: »Wirt, Mensch, sehen Sie, daß der olle Droschkenkutscher von unserem Tisch wegkommt! Der Kerl pennt ja – soll er seinen Rausch woanders ausschlafen! Und überhaupt, Droschkenkutscher kann ich nicht riechen, gegen Droschkenkutscher habe ich eine Aversion …«
    Der alte Hackendahl hatte längst begriffen, was das für eine Stimme war, wenn sie sich auch verändert hatte, wenn sie auch fett geworden war. Einen Augenblick dachte er daran, sich fortzustehlen. Aber feige war der alte Hackendahl nie gewesen, feige war er auch jetzt nicht. Er schob den Hut – Mutters Milchpott – aus der Stirne; quer über den Tisch sah er mit von der plötzlichen Helle blinzelnden Augen in das Gesicht seines Sohnes Erich …
    Der sah ihn an, starrte ihn an, plötzlich war alle Angetrunkenheit aus ihm gewichen … Er starrte den alten Droschkenkutscher im fleckigen blauen Mantel an, mit dem gelbgrau gewordenen Barte, den trüben, geröteten Augen, mit den dickgeschwollenen Tränensäcken darunter … Starrte den alten Mann an, war blaß geworden, konnte nicht weiterreden, wollte aufstehen vom Tisch und kam doch nicht los von dem Blick des anderen, des Vaters, der ihn nicht frei ließ …
    Denn der Vater sah ihn an, quer über den Tisch fort, auf den die rotwestigen, hemdsärmeligen Kellner jetzt die Sektflaschen in ihren Kübeln stellten, quer über den Tisch weg starrte er mit großen kugligen Augen den Sohn an … Sein Gesicht zuckte nicht, nichts verriet, daß der Vater den Sohn erkannte …
    Und sah durch das fette, weiße Gesicht mit den hoch gewordenen Schläfen, dem dünn gewordenen Haar, sah den Erich von ehemals, den Liebling, Hoffnung und Stolz, Liebenswürdigkeit und eine so leichte Hand … Sah ihn, den frischen, klugen Bengel von ehemals, und er hatte ihn in den Kohlenkeller

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