Der eiserne Gustav
ausgerechnet an diesem Abend solchen Bockmist anrichtete, da war er entschlossen gewesen, den Mann zur Wache zu schleppen, anzuzeigen wegen groben Unfugs, Transportgefährdung, weiß der Henker …!
Aber je mehr er auf den alten Mann mit dem gelbgrauen Vollbart im abgeschabten Kutschermantel einschimpfte, der sich ohne allen Widerspruch um seinen Gaul mühte, um somehr verlor sein Zorn an Hitze, um so klagender wurde seine Stimme … Natürlich hatte er von dem alten Mann schon gehört, auf der Revierstube hatte er von ihm gehört und auch noch auf einer anderen Stelle. »Das ist der eiserne Gustav«, hatten die älteren Kollegen gezeigt und erzählt, wie der Mann vor dem Kriege über hundert Droschken habe laufen lassen, ein schwerreicher Mann, und wie er jetzt auf seiner letzten Droschke sitze, ein bettelarmer Mann. Etwas fast Ehrwürdiges, eine Reliquie, aus der Zeit vor dem Kriege herübergerettet, etwas zum Nachdenken über den Unbestand menschlicher Dinge …
Und das Erbarmen, das sein Sohn nicht für ihn hatte, das hatte der kleine, scharfe Schutzmann, der ein richtiger Berliner aus Pankow war … Denn die richtigen Berliner sind nur äußerlich schnoddrig und kaltschnäuzig – innen sind sie ganz anders. Der junge Polizist schimpfte noch immer und steckte dabei doch schon sein Notizbuch in die Tasche und half den Wagen schieben. Und als sie fünf Schritt weit geschoben hatten, da besann sich der auferstandene Blücher und ließ nicht nur schieben, sondern fing an zu ziehen, und die Berliner schrien hurra …
»Hören Sie mal«, sagte der Polizist, als der Wagen in der Seitenstraße ordentlich ausgerichtet an der Bordschwelle hielt. »Hören Sie mal, das machen Sie aber nicht noch mal!«
»Den Zossen muß doch einer reineweg mit der Muffe jebufft haben«, sagte Gustav Hackendahl verdrießlich.
»Ach was! Das haben Sie dem Schinder beigebracht, das wissen wir doch alle. Aber nun ist Schluß damit, verstehen Sie? – Sie sind doch der eiserne Gustav?«
»Det bin ick, junger Mann. Aber so eisern is mir heute nacht jrade nich zumute.«
»Na, lassen Se man«, meinte der Polizist fast herzlich. »Es hat ja noch einmal gut gegangen. Von Ihnen habe ich schon viel gehört …«
»Ja, wat de Leute sich so allens zusammenquasseln …«
»Nicht bloß die Leute, von Ihren Enkeln habe ich dasgehört. Ich wohne doch in demselben Haus, nur daß die zweiter Hof sind und ich erster. Ich sehe aber grade von meiner Küche in ihre Schlafstube …«
»Nee, so wat!« sagte der alte Hackendahl und fing sachte an, sich zu wundern.
»Ja«, sagte der junge Schutzmann, »und andere Jungens, die wollen bloß immer Auto und Chauffeur spielen, aber Ihre Enkel – ausgeschlossen! Immer Pferdedroschke, immer Kutscher und Pferd, mal der Große vorne und mal der Kleine hinten …«
»Es is nich die Möglichkeit!« sprach der alte Hackendahl.
»Na ja. Ich wollte Ihnen das bloß rasch erzählen, weil ich weiß, Sie verkehren mit die Leute nicht, aber es freut Sie vielleicht doch! Wo Ihnen das grade mit dem Zossen passiert ist. – Aber daß mir das nicht wieder vorkommt!«
Die letzten Worte waren wieder ganz dienstlich gesprochen, und nun ging der junge Polizist. Gustav Hackendahl aber zockelte mit dem Blücher sachte heimwärts, und wie sie in eine dunkle Seitenallee des Tiergartens kamen, da stieg er vom Bock, nahm die Zügel fest in die eine und die Peitsche schlagbereit in die andere Hand und rief »Hüa!«
Und als der Rappe nach gelernter Lektion nun rückwärts gehen wollte, gab er ihm Saures, noch und noch … Denn das mußte der Rappe nun lernen: Mit dem Rückwärtsgehen war es vorbei, jetzt wurde nur noch vorwärts gegangen. Endgültig vorbei war es mit den Juxfuhren, die ja eigentlich auch bloß Nepp gewesen waren; es war aber auch vorbei mit dem großen, runden Holztisch im Keller – es hätte ihn gegraust, wieder als Spaßmacher an dem Tisch zu sitzen, an dem sein Sohn ihn verleugnet hatte.
Der Alte hatte seine Lektion gelernt, und der Rappe lernte auch rasch seine Lektion; man glaubt gar nicht, wie sehr manchmal ein paar Hiebe helfen können …
Dann zuckelten die beiden gemeinsam nach Haus. Und wenn der eiserne Gustav nicht so müde und ausgepumpt gewesen wäre, hätte er sich doch ein bißchen gewundert, daßer kaum noch Zorn und Schmerz über den verlorenen Sohn empfand. Sondern nur manchmal ganz behaglich dachte: Spielen Pferdedroschke, i du Donner! Wollen nischt wissen von Autos. – Ob se wohl ’ne Peitsche
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