Der eiserne Gustav
scharfen Gesicht, aber dem sanften Taubenblick vieler Buckliger – Gertrud Gudde, kleine, mühsame Schneiderin, sie kennt ihren Otto genau, in seiner Schwäche, seiner Entschlußlosigkeit, der Angst vor dem Vater, aber auch in seinem Verlangen, Glück zu geben.
»Aber: Was war los bei euch?« fragt sie. »Erzähl, Otto, es wird schon nicht so schlimm sein.«
»Ich habe dir auch wieder Schnitzarbeiten mitgebracht«, sagt er. »Templin wird dir ungefähr zehn Mark dafür geben.«
»Du sollst aber nicht die halben Nächte sitzen und schnippeln! Ich schaffe es auch schon so – heute habe ich vier Anproben!«
»Ja, du!« sagt er. »Gustäving – haben wir nicht eine großartige Mutti?«
Das Kind ruft und jauchzt – die Mutter lächelt. Ach, die beiden im Leben zu kurz Gekommenen, er mit dem schwachen Willen, sie mit dem verkrüppelten Körper – hier zu zweien, nein, zu dreien, in Küche und Stube, allein für sich, geben und empfangen sie so viel Glück!
»Komm, einen Augenblick kannst du dich hinsetzen. Ich habe noch Kaffee für dich, hier sind Schrippen. Los, iß! Gustäving zeigt dir unterdes, wie er turnen kann.«
Gehorsam tut er, was sie sagt. Sie hält immer irgend etwas für ihn bereit, er kann kommen, wann er will. Es ist dann so, als seien sie richtig Mann und Frau. Und er versteht das, versteht es ohne ein Wort, er ißt immer, sagt nie nein – auch wenn er noch so satt ist.
Gustäving zeigt seine kleinen Kunststücke, die Mutter ist noch stolzer darauf als der Sohn. Die Mutter, die der gerade Rücken, die festen Beine des Kindes glücklich machen, sie, die fast keinen Tag ihres Lebens schmerzfrei verbracht hat …
»Und nun erzähle, was bei euch los war …«
Er berichtet, langsam und schwerfällig. Aber Gertrud Gudde versteht ihn, sie liest in seinem Gesicht.
Und dann – sie kennt ja alle, von denen er erzählt: die Mutter, den Erich, Eva und den gefürchteten grimmigen Vater, den eisernen Gustav, auch. Sie kommt dann und wann als Hausschneiderin zu den Hackendahls, schon seit vielen Jahren, so haben sich Otto und sie kennengelernt, liebengelernt. Ohne daß je ein anderer etwas merkte, selbst nicht die listige Eva. Gertruds lebhaftes Gesicht spiegelt alles wider, was er erzählt, mit abgerissenen Ausrufen begleitet sie seine Worte: »Sehr gut. Ottchen!«– »Das war richtig, was du da gesagt hast!«– »Und du hast das Schloß gleich aufgebracht? Großartig!«
Er sieht sie an, jetzt ist er frei, er hat nun selbst das Gefühl, als habe er einiges verrichtet, er, der Getriebene, der zwischen den Mühlsteinen Zerriebene.
»Aber was wird Vater sagen, daß Erich weg ist?« fragt erschließlich. »Und Eva, die so geizig ist, was wird die für ein Geschrei machen?!«
»Eva …?! Eva kann ja gar nichts sagen, wenigstens zum Vater nicht. Es ist ja alles gestohlenes Geld, sie würde sich bloß selbst verraten! Nicht wahr?«
Er nickt langsam, jawohl, das versteht er.
»Aber der Vater – wegen Erich?« fragt er noch einmal, hoffend, daß sie ihm auch diese Last erleichtern wird.
Sie sieht ihn nachdenklich an mit ihrem sanften Taubenblick.
»Der Vater«, sagt sie – und die Gestalt des eisernen Gustav, die immer über ihrem kleinen Leben steht, richtet sich groß hinter ihnen auf. »Der Vater«, sagt sie und lächelt, ihm Mut machend, »der Vater wird sehr traurig sein – auf Erich ist er doch immer am stolzesten gewesen. Sag kein Wort gegen Erich, auch nicht, daß er Evas Geld genommen hat. Es wird dem Vater schon so schwer genug sein. Und gib ruhig zu, daß du die Schlösser aufgemacht hast, sag, hör zu, Otto, merk dir das, sag ihm: ›Ich hätte dich ja auch aus jedem Keller rausgeholt, Vater!‹ – Behältst du das?«
»Ich hätte dich ja auch aus jedem Keller rausgeholt, Vater«, wiederholt er schwerfällig. Und dann: »Aber das ist ja wahr, Tutti, das stimmt genau: Ich hätte Vater doch nicht eingesperrt gelassen!«
Er blickt sie freudig an.
»Siehst du, Otto! Ich sage ja nur, was du selbst denkst, du kannst es nur nicht so ausdrücken.«
»Aber was wird Vater dann tun, Tutti?«
»Das kann man nicht wissen, Otto, bei Vater kann man es nie genau wissen, weil er jähzornig ist …«
»Vielleicht schmeißt er mich raus. Und was dann? Sollst du mich auch noch satt machen?«
»Aber, Otto, du bekommst doch jede Stunde Arbeit! Du gingst den Tag über in eine Fabrik als ungelernter Arbeiter oder auf einen Bau als Handlanger …«
»Ja. Das könnte ich wohl. Doch, das ginge.«
»Und
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