Der eiserne Gustav
sie zu ihr zurück!
Die Treppe ist jetzt belebt; Leute gehen aufwärts und abwärts. Aber sie hat Geduld. Sie setzt den Fuß auf eine Stufe und knotet an ihrem Schuhband …
Dann ist sie endlich unbeobachtet, sie nimmt die Markttasche. Sie weiß natürlich, daß innen auf das Futter der Name »Hackendahl« geschrieben ist, den muß sie ausreißen!
Aber sie hält inne! Es leuchtet sanft in der Tasche, es blitzt, es strahlt …!
Sachte setzt sie die Tasche auf die Treppe hin – oh, dieser Schurke, dieser Lump! Er hat sie völlig zu seiner Mitschuldigen gemacht, er hat einen Teil seiner Beute in die Tasche geworfen – wenn man sie gefaßt hätte! Nie hätte sie sich freischwatzen können! Ach, wenn sie ihn nur hier hätte, ihn mit seinem quasseligen Gerede von Markttasche und Laufen – so ein Schwein!
Jemand kommt eilig die Treppe herunter. Sie späht: Es ist ein Mann in der braunen Uniform des Warenhauses. Sie knüpft an ihrem Schuh; sie hat rasch ihren faltigen Rock über die Tasche gebreitet …
Der Uniformierte sieht sie von der Seite an – hat er sie argwöhnisch angesehen? Jedenfalls wird es höchste Zeit, aus dem Haus zu kommen. Es müssen jetzt mindestens zehn Minuten seit dem Diebstahl vergangen sein, wahrscheinlich steht schon Polizei an allen Türen … Kaum hat sie die Schwingtür unten klappen gehört, stopft sie den Schmuck in die Tasche ihres weißen Unterrocks. Sie hält sich nicht damit auf, ihnnäher anzusehen, und nur als sie den Brillantring mit dem gelblichen Stein faßt, lächelt sie. So ein ausgekochter Lump!
Dann reißt sie den Namen aus und geht ohne Tasche. Geht durch das Erdgeschoß, an den Verkaufstischen, deren Glanz blaß und gewöhnlich geworden ist, vorüber, an dem Portier vorbei, mit dem Strom der Besucher auf die Straße hinaus …
Draußen. Gerettet! Frei!
16
Als die Jungen zur Elf-Uhr-Pause auf den Hof des Gymnasiums kamen, sahen sie natürlich die Droschke erster Güte draußen halten. Keiner beachtete sie, Porzig bloß, der bekannte Hämling, konnte sich nicht entbrechen, vernehmlich zu bemerken: »Konkurrenz unseres geliebten Bubi! Hackendahl, nimm die Hacken dahl vor so viel väterlicher Pracht! Hackendahl, dekliniere equus, der Zosse …«
»Stänkere nicht, Porzig!« warnte Hoffmann.
»Es ist sogar meines Vaters Wagen!« sprach Heinz Hackendahl. »Denkst du, deswegen schäme ich mich?! Keine Bohne!«
»Siehe da!« rief Porzig und imitierte den Lehrer des Griechischen. »Traun fürwahr, Hackendahl! Und beruht das Gassengerücht auf Wahrheit, daß der Kaiserliche Marstall mit Eurer väterlichen Gestrengen wegen Ankauf jenes schimmernden Rosses in Verhandlung steht?«
Der Schimmel, der Liebling des Vaters, sah wirklich ungewöhnlich kläglich aus. Nach der Jagd am Vormittag war er nur noch die Ruine eines Pferdes. Die Jungen der Obertertia sahen erst auf das Pferd, dann auf die beiden Gegner. Heinz Hackendahl und Hermann Porzig waren geschworene Feinde, ihre ständigen Plänkeleien erfrischten die Klasse.
»Krächze nicht, Hermann, mein Rabe«, bemerkt Bubi Hackendahl kühl. »Die Porzen sind stinkende Cojoten – beim Kriegsgeschrei verkriechen sie sich in die Wigwams der Squaws!«
(Dies war eine Reminiszenz aus dem geliebten Karl May.) »Wir sehen nirgend den glänzenden Lackpott unseres Patris equorum, dieser Zierde der Droschkenfahrer-Gilde!« rief Porzig mit gut gespielter Besorgnis. Der Kreis der zuhörenden Jungen hatte sich wesentlich vergrößert und stachelte die Phantasie des Spötters. »Wo weilt er? Warum schützt er den Zossen nicht vor den Schlingen der Wurstschlächter? Kippt er etwa – traun fürwahr! – in einer Stehbierhalle ein Kümmelchen? Sprich, legitimer Sohn einer Droschke!«
Es war ein unausrottbares Märchen auf der Penne, daß der Alte Fritz seinem Kammergericht einen silbernen Nachttopf übermacht hatte – in Wut über das Urteil seiner Räte: für den Müller, gegen den König. Hermann Porzig war der Sohn eines Kammergerichtsrats, also antwortete Heinz Hackendahl: »Der glänzende Lackpott meines Vaters erblaßt vor dem Silberschein eines königlichen Nachtgeschirrs. – Ist es wahr, daß dein Vater dieses Gnadengeschenk jeden Sonnabend zu scheuern hat – und du darfst auf die Bürste spucken, Edeling?«
Ein Schauer des Schreckens ging durch alle beim Anhören einer so schweren Beleidigung. Wirklich lief Porzig sofort rot an – er teilte Spott leichter aus, als er ihn ertrug.
»Nimm den Nachtpott zurück!« schrie er. »Er
Weitere Kostenlose Bücher