Der eiserne Gustav
Mensch sein! Ganz wie die anderen alle!«
Einen Augenblick stand er aufgerichtet, schon verfiel er. »Aber es wird nichts, es wird nie etwas … Ich habe gedacht, wenn Krieg wird, werde ich den Mut haben, zu Vater zu gehen. Aber auch jetzt wird es nicht.«
»Otto, mach dir doch um die Trauung keine Gedanken! Ich habe es doch nicht meinetwegen gesagt! Wir sind immer glücklich gewesen, das weißt du doch!«
»Glücklich, glücklich …«
»Ach, Otto, es hat doch Zeit, wir lassen uns trauen, wenn du wiederkommst …«
» Wenn
ich wiederkomme …!«
7
Es ist Morgen, sieben Uhr morgens. Morgen eines Wochentages, Arbeitstages.
Aber auf dem Hackendahlschen Fuhrhof stehen alle Droschken unbespannt nebeneinander, Gepäckdroschken und offene Droschken, Droschken erster und zweiter Klasse. Sie stehen nebeneinander, als ruhten sie aus, als gebe es keine Arbeit mehr für sie …
Die Kutscher laufen umher in Sonntagsanzügen, sie ziehen die Pferde aus dem Stall. Vater Hackendahl steht an der Hofpumpe, er mustert jeden Gaul, sieht nach, ob er gut genug geputzt ist, läßt die Hufe schmieren, einen Trensenzügel verschnallen … Die Pferde sind aufgeregt wie die Menschen, es macht sie unruhig, daß sie ihr gewohntes Geschirr nicht tragen. Sie werfen den Kopf, sie sehen nach den leeren Droschken hinüber, sie wiehern …
»Hoffmann!« ruft Hackendahl dröhnend. »Kämm deiner Liese die Mähne noch mal durch! Zieh ihr’n Scheitel, mein Junge, dann sieht sie gleich schmucker aus!«
»Jawoll, Herr Hackendahl, det sich ein Franzose in sie verliebt!«
»Oder bei de Russen kricht se Läuse! Die jehen dann immerden Scheitel ruff un runter un singen: ›Ach, Niki, ach, Niki, wie biste doch so süß!‹«
»Ruhe!« befiehlt Hackendahl mit Donnerstimme in das brausende Gelächter hinein. Aber auch er ist aufgeregt und vergnügt, es ist ein großer Tag für ihn. »Maul halten! – Rabause, sind jetzt alle draußen?«
»Jawoll, Herr Hackendahl, zweiunddreißig Pferde. Elf Stuten, zwanzig Wallache und dann der Klopphengst …«
»Den Klopphengst werden sie jedenfalls nicht nehmen …«, sagt Hackendahl nachdenklich.
»Sie werden die mehrsten nich nehmen, Herr Chef«, meint Rabause tröstend. »Unsere Pferde sind zu leicht fürs Militär.«
»Ein Stücker zwanzig möchte ich auch behalten. Was denkt ihr, mit was ihr hier Droschke fahren wollt? Droschke muß auch im Kriege sein.«
»Und wo werden Sie die Kutscher hernehmen, Herr Chef? Elf Mann sind bloß noch da, die anderen sind schon alle bei den Preußen.«
»Als Kutscher nehmen wir junge Leute!«
»Junge Leute wird’s bald auch nich mehr geben, Herr Chef, die Jungen stellen sich doch alle freiwillig …«
»Na, dann muß Muttern eben auf den Bock«, ruft Hackendahl lachend. »Dann müssen die Frauen fahren, wenn die Männer weg sind …«
»Herr Chef, Herr Chef, Sie machen ja Witze!« ruft Rabause auflachend. »Wenn ick mir das so vorstelle, Ihre Frau mit Ihrem Lackpott auf dem Bock – und dann die Leine in der Hand – nee, das möchte ich wirklich noch erleben …«
»Dann los!« befiehlt Hackendahl mit Stentorstimme. »Abmarsch! – Komm, Bubi!« ruft er zum Fenster hinauf. »Wenn du noch mit willst, wird’s Zeit!«
Heinz verschwindet aus dem Fenster, die Mutter winkt von oben, halb weinend, halb stolz. Es ist ein nie gesehener Anblick: Alle Pferde der Tag-und Nachtschicht verlassen gemeinsam den Fuhrhof, einhundertachtundzwanzig Hufeisenklappern auf dem Steinpflaster, die Schwänze wehen, die Köpfe werden geworfen … Jawohl, es ist ein stolzer Anblick, es ist das letztemal, daß der Fuhrhof Hackendahl nach Wohlhabenheit und Fülle aussieht …
»Warum hat denn die Eva nicht aus dem Fenster gesehen?« fragt Vater Hackendahl, etwas unzufrieden. »So was sieht das Mädchen doch nicht alle Tage!«
»Ach, die! Die sitzt wieder in ihrem Zimmer, die ist ja komisch, Vater.«
»Weißt du denn nicht, was mit ihr los ist, Bubi? Sie ist doch ganz verändert!«
»Ich weiß, daß ich nichts weiß!« zitiert der Gymnasiast seinen Klassiker. »Aber mir schwant, Vater, daß sie sich einen angelacht hat – und vielleicht muß der auch in den Krieg!«
»Die Eva? Unsinn! Das müßte ich doch wissen!«
»Du, Vater?«
»Wieso nicht? Was meinst du denn?«
»Ach, gar nichts, Vater!«
Eine Weile gehen die beiden schweigend nebeneinander. Auf der Fahrbahn der Frankfurter Allee klappern die Pferdehufe. Die Menschen auf der Straße bleiben stehen, sie schmunzeln bei dem
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