Der eiserne Gustav
Rabause ist nicht da. Logisch, es lohnt sich nicht, wegen fünf Pferden eine Stallwache zu bezahlen.
Hackendahl tritt in den Stand des Schimmels; das Pferd steht müde da, mit tief hängendem Kopf. Es hat noch Heu genug in der Raufe, aber es hat ein paar Strohhalme von der Streu ins Maul genommen – und sie zu kauen vergessen. Da steht das Tier, abgetrieben, die Strohhalme spießen aus seinem Maul, es sieht jämmerlich aus. Es hat die Wettfahrt nicht überwunden, es hat sich damals überjagt. Hackendahl sagt sich, daß der Schimmel nie wieder zurechtkommen wird.
Aber er braucht kein Stroh zu fressen, auch kein Heu; Hackendahl hat für seinen Schimmel etwas Besseres. Als sie vorhin zum Abschluß im Varieté eine Tasse Kaffee tranken, hat der Kellner eine Dose mit Zucker auf den Tisch gesetzt. Natürlich haben alle Pferdehändler in die Dose gegriffen, Hackendahl mit. Sie haben die Dose geleert, nicht für ihren Kaffee, nein, für die Pferde, die jeder von ihnen zu Haus stehen hat. In Lokalen, in denen Pferdehändler regelmäßig verkehren, stellt man keine Zuckerdose auf den Tisch, da zählt man die Zuckerstückchen zu – die Dosen werden zu schnell leer!
Hackendahl hält seinem Schimmel den Zucker hin. Der Schimmel dreht das trübe blaue Auge im gelblichen Weiß nach seinem Herrn. Er schnuppert mit den Lippen an der Hand, am Zucker – und läßt den Kopf wieder sinken.
»Willst du nicht?« sagt Hackendahl im plötzlichen Ärger. »Dann läßt du’s eben bleiben!«
Aber er hat nun keine Lust mehr, den Zucker an die anderen Pferde zu verteilen. Ärgerlich geht er aus dem Stall. Er steigt die Treppe zur Wohnung hinauf. Während er das tut, überlegt er, wie er sonst eigentlich die Treppe hinaufgeht, nachts, ob laut oder leise oder mit seinem gewöhnlichen Schritt. Aber er kommt nicht darauf. Jedenfalls wird er nicht extra leise gehen: Er hat nicht mehr getrunken, als er vertragen kann!
Oben steht er einen Augenblick überlegend still. Natürlich muß er seinen gewohnten Rundgang wie alle Abende machen; keiner soll ihm anmerken, daß er was getrunken hat.
Als er die Tür zum Schlafzimmer der Jungen öffnet, ist er überrascht, wie dunkel es darin ist. Er kann nicht erkennen, ob sie in ihren Betten liegen und schlafen. Dann fällt ihm ein, daß er heute ja seinen Gang viel später als sonst macht, darum ist es schon so dunkel. Es ist ja schon Nacht, wieviel Uhr eigentlich? Na, jedenfalls schon Nacht, und sonst ist Abenddämmerung.
Vorsichtig, auf den Zehenspitzen tastet er sich in den Raum. Er fährt mit der Hand über das Kopfende des Bettes, er fühlt noch einmal nach: Er hat richtig gefühlt, es stimmt, das Bett ist leer. Er steht nachdenklich da. Das war eben nicht richtig, es stimmt ja grade nicht! Das Bett sollte nicht leer sein, der Junge sollte darin liegen.
Er überlegt, was er nun tun muß. Soll er mit dem Bengel schimpfen? Aber er kann nicht mit dem Bengel schimpfen, der Bengel ist ja nicht da! Soll er mit den anderen schimpfen? Natürlich soll er das! Die anderen können auch aufpassen, immer, wenn er nur einen Augenblick fort ist, passiert so etwas!
Er ist schon im Begriff loszubrechen, als ihm einfällt, daß er erst nachsehen will, ob die anderen da sind. Er tastet nachdem zweiten Bett, er befühlt das Kopfende: Siehst du, auch das Bett ist leer.
Ein Lächeln breitet sich über sein schweres Gesicht aus: Es ist doch gut, daß er noch nachgesehen hat. Nun hat er schon zwei erwischt. Wenn nun auch noch der dritte fort ist – denen wird er es aber zeigen, was Ordnung heißt in seinem Hause!
Aber der dritte ist da. Heinz liegt ruhig im Bett und schläft. Der Vater tastet nach dem Gesicht, bekommt die Haare zu fassen und zieht. »Du! Bubi!«
»Hmm!«
»Bubi!!« – Schon sehr viel kräftiger.
»Ich schlafe …«
»Bubi – wo sind die anderen?«
»Wer?«
»Otto!«
Bubi richtet sich auf, schlaftrunken starrt er auf den schattenhaften Vater. »Otto …?«
»Ja, frag noch! Otto!«
»Vater! Du hast doch Otto selbst zur Bahn gebracht!«
»Ich …? Otto …?«
»Ja, er ist doch bei den Soldaten!«
Der Vater ist verwirrt, daß er das vergessen hat! Er versucht seine Verwirrung zu bemänteln. »Ich mein doch Erich!« sagt er.
»Erich …?« fragt Bubi dagegen, um Zeit zu gewinnen. »Ja, Erich! Wo ist denn Erich?«
»Erich …?«
»Ja, frag noch Erich! Erich, wo Erich ist, will ich wissen!«
»Erich!« Bubi hat jetzt des Vaters Zustand klar erkannt. Sofort macht er sich daran, Erichs
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