Der eiserne Wald
Gitarre setzte ein, wurde unterbrochen, setzte wieder ein, begleitet von einigen Frauenstimmen. Ich konzentrierte mich auf die Melodie und schlug blinzelnd die Augen auf.
Ich lag auf einer ausgebeulten Liege und starrte zu einer welligen Decke hinauf. Durch die Löcher im Metall waren kleine Stücke vom Himmel zu sehen, der so rosa schimmerte, dass die Sonne wohl gerade den Dienst quittierte oder ihn wieder antrat.
Zitternd strich ich über meine empfindliche Haut. Ich war nackt. Mein Bauch war geschwollen und fühlte sich irgendwie klebrig an. Als ich versuchte, den Kopf zu heben, drückte eine Hand mich wieder nach unten.
»Ruh dich aus«, sagte das Mädchen.
Sie war es, Alpha. Die mir überhaupt erst den Nagel ins Fleisch geschossen hatte. Ich wehrte mich gegen ihren Griff und tastete nach meinem Arm. Die Wunde war verbunden, die Haut rundherum leicht geschwollen.
»Wir haben ihn rausgeholt«, erklärte Alpha, als ich zu ihr hochschaute. »Du sollst uns hier schließlich nicht abkratzen.«
»Dann hättest du nicht auf mich schießen sollen«, flüsterte ich und spürte dabei einen stechenden Schmerz im Hinterkopf.
»Du hast doch zuerst versucht, auf mich zu schießen, Freundchen. Schon vergessen?«
Sie fuhr mit einem nassen Lappen über meine Brust, und ich spürte, wie das Wasser über meine Haut rann. Mir fiel wieder ein, wie dieses Mädchen ausgesehen hatte, als es das Baby auf der Hüfte trug – als hätte man noch nicht alles Mitgefühl aus ihr herausgeprügelt. Dann kehrte der Schmerz zurück und fuhr in meine Augen. Im nächsten Moment verlor ich wieder das Bewusstsein.
*
So ging das stundenlang weiter. Ich wälzte mich auf der Liege herum, kam zu mir und wurde wieder ohnmächtig. Zitternde Stimmen in der Ferne, die sangen und lachten. Und immer wieder kam Alpha, wusch mich und sah nach meiner Wunde.
Die Löcher in der Decke verfinsterten sich nachts und wurden morgens wieder hell. Und ich verschwendete keinen Gedanken an meine Gefährten unten im Pferch. Keinen einzigen.
Benommen und völlig ausgelaugt lag ich auf meiner Liege, als die Tür aufflog und ein neues Mädchen hereinkam. Sie deckte mich mit einem Laken zu und setzte sich dann neben mich.
»Alpha meinte, du wärst ein Baummeister«, sagte sie. Sie sah jung aus und schien viel zu klein zu sein für eine Piratin.
»Früher mal«, murmelte ich und drehte mich weg. »Hab kein Werkzeug mehr.«
»Ich denke nicht, dass es auf das Werkzeug ankommt. Entweder bist du etwas, oder du bist es nicht.«
Ich schwieg.
»Zeig mir deine Hände«, befahl sie. Mir blieb wohl keine andere Wahl. Sie musterte meine Fingerspitzen, drückte meine Handballen.
»Ich will, dass du etwas für uns baust«, erklärte sie dann. Offenbar war sie zufrieden mit dem, was sie sah. »Etwas fertigstellst.«
Ich versuchte mich aufzusetzen, war aber noch zu schwach. Also sah ich sie einfach nur an. Auf eine strenge Art war sie ziemlich attraktiv. Ihre blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten und sauberer, als es in einer Stadt, die so dreckig war, möglich sein sollte.
»Wer zum Teufel bist du?«, fragte ich schließlich.
»Für dich: Jawbone. Die meisten hier nennen mich allerdings Captain.«
»Ich dachte, Alpha wäre hier der Chef.«
»Alpha ist mir unterstellt.«
»Du siehst gar nicht aus wie ein Captain.«
Sie lächelte erstaunlich gelassen. Ich wollte noch etwas sagen, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Du solltest dich geehrt fühlen. Deine Arbeit wird ein bedeutendes Andenken hinterlassen.« Das Mädchen drückte sich ziemlich gewählt aus, als hätte sie eine richtige Ausbildung bekommen und wäre nicht hier im Süden jenseits der Vierzig aufgewachsen.
»Bitte entschuldige, aber das interessiert mich einen feuchten Dreck«, erwiderte ich.
»Du interessierst dich wahrscheinlich sowieso nur für eines: dich selbst.«
»Wenn du meinst.«
»Bau für uns, und wir lassen dich frei.«
Das kam so überraschend, dass ich kurz unsicher wurde.
»In ein paar Tagen wird King Harvest hier sein«, fuhr sie fort. »Du kannst Teil unseres Handels mit ihm werden oder auch nicht.«
Baue oder werde eingetauscht. Leichte Entscheidung.
»Aber ich habe noch einen Freund«, begann ich, ohne es eigentlich zu wollen. »Kleiner fetter Junge, sitzt unten in eurem Pferch.«
»Du kannst mein Angebot annehmen oder es ausschlagen. Aber es ist nicht verhandelbar.«
»Dann solltest du mich jetzt besser schlafen lassen«, entgegnete ich. »Ich fange an zu bauen,
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