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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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Münder, die zu erschöpft waren, um zu schreien. Wir waren ein gebrochener Haufen. Still. Wieder musste ich an King Harvest und sein Sklavenschiff denken. Deshalb hatten sie wohl so viele gebraucht. Wegen dieses verdammten Tests, den sie hier machten. Schafft einige von uns über das Wasser und verbrennt alle, die zurückbleiben.
    Aber was für einen Test hatten wir da eigentlich bestanden?
    Als Arbeitskräfte konnten sie uns wohl kaum gebrauchen. Oder als Nahrungsquelle. Nicht in diesem Zustand.
    Suchend sah ich mich nach Alpha um. Oder Crow. Versuchte unter den Plastikplanen und den rasierten Köpfen jemanden zu finden, den ich kannte. Ich wanderte zwischen den teils lang ausgestreckten, teils zusammengekauerten Gestalten herum, ging an tastenden Fingern und halb mit Plastik bedeckten Körpern vorbei. Stimmen wurden laut. Die Leute flüsterten miteinander, stöhnten oder klammerten sich an ihren Nachbarn.
    Ich ging weiter. Taumelte mehr. Immer wieder sah ich zu den Agenten hinüber. Suchte nach Crows verbrannter Haut oder den Stümpfen, die von seinen Beinen noch übrig waren. Vor meinem inneren Auge konnte ich Alpha nicht mit dem in Verbindung bringen, was ich hier sah. Das waren zwei Welten, die einfach nicht zusammenpassten.
    Kalte Finger schlossen sich um meinen Knöchel. Sie zerrten an mir, drückten zu, erschlafften. Ich sah nach unten. Und war kein bisschen überrascht, dass ich, ohne zu zögern, an ihr vorbeigegangen war.
    Ich musste daran denken, wie ich Alpha auf der Stadtmauer von Old Orleans entdeckt hatte, mit stolz gereckten Armen und blutverklebter Weste. Dieses Bild war tief in mir verankert, ich hegte und pflegte es, um mich immer daran erinnern zu können. Damit ich es niemals vergaß.
    Doch diesmal ragte Alpha nicht über mir auf, stand nicht breitbeinig da und warf den Kopf in den Nacken. Diesmal war sie ein Wrack. Keine weiche, pinke Weste, auf der ihr Name aufgestickt war, sondern nur ihre bleichen Schultern und die schäbige GenTech-Plane. Sie hatten ihr den Irokesen abrasiert, und dadurch sah ihr Gesicht vollkommen anders aus. Jünger und gleichzeitig älter.
    Ich kniete mich neben sie. Legte meine Hände auf ihre. Berührte ihre Füße mit meinen. Sie hatten uns sämtliche Kleidung weggenommen und uns grau angepinselt, aber das spielte jetzt keine Rolle. Nicht in diesem Moment. Überhaupt nicht. Ich streichelte über die Stoppeln auf ihrer Kopfhaut, und sie blinzelte zu mir hoch, als könnte sie so ihre Lippen dazu bewegen, sich ein Lächeln abzuringen.
    »Ich bin da«, flüsterte ich. »Ich bin bei dir. Und ich werde nicht weggehen, versprochen.«
    Sie zog meine Hand an ihre Wange und drückte ihren Mund gegen meine Fingerspitzen. So blieben wir eine Weile sitzen. Es war tröstlich genug, einfach nur zu atmen. Aber irgendwann wollte ich ihr von dem See da draußen erzählen, auf dem wir fuhren. Und ich wollte wissen, ob sie dasselbe gesehen hatte wie ich. Ob sie bei Bewusstsein gewesen war, als wir in die Stadt gebracht wurden, ob sie die aufragenden Gebäude und die Lichtexplosionen miterlebt hatte. Ich wollte erfahren, ob sie das Feuer in der Fabrik gesehen und beobachtet hatte, wie einzelne Leute von uns anderen weggezerrt und ihre Körper in die Flammen gestoßen worden waren.
    Aber ich konnte mich nicht überwinden, darüber zu sprechen. Noch nicht. Außerdem hatte ich eine Frage, die mir dringender zu sein schien.
    »Deine Wunde?«, sagte ich also. »Du wurdest angeschossen.« Ich zeigte auf meinen Bauch. »Genau da.«
    »Zugeklebt«, erwiderte sie, legte eine Hand auf den Magen und krallte sich in die Plastikplane.
    »Zeig es mir.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Komm schon«, flüsterte ich. »Zeig es mir.« Schließlich ließ sie die Hände sinken, und ich zog die Plane beiseite. An der Stelle, wo die Wunde gewesen war, fehlte ihr ein Stück Haut. Und wo früher Haut gewesen war, ruhte jetzt ein Stück Borke. Nicht das alte Holz, das ich auf die Wunde gedrückt hatte, um die Blutung zu stoppen. Die hier war frisch. Frisch gewachsen, um Alpha zusammenzuflicken. Sie war teils rosa, teils grünlich und irgendwie knotig. Ich tippte darauf. Der unverkennbare Klang von Holz.
    Ruckartig zog Alpha die Plane über ihren Körper und wich meinem Blick aus, als würde sie sich schämen.
    »Nein«, protestierte ich. »Das ist wunderschön.« Und ich meinte es ehrlich. Alle Schönheit, die ich bisher gesehen hatte, war nur ein Traum gewesen, in dem sie die Hauptrolle spielte. Ich wollte sie

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