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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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Bäume.
    Etwas, woran wir glauben konnten. Das uns nach Hause führte. Vielleicht auch etwas, das uns frei machte. Oder nur etwas, das wir verkaufen konnten.
    Sofort hatten mich die Agenten umzingelt, so dass ich Sal nicht mehr sehen konnte. Aber nun bahnte sich die ganze Kraft, die ich während des Drogenschlafes gesammelt hatte, ihren Weg. Ich trat und schubste den Mistkerl im violetten Anzug, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, der mich jetzt aber unter seine Kontrolle bringen wollte. Und mir weh tun wollte. Der meinen fetten kleinen Kumpel direkt vor meinen Augen ermorden wollte.
    Ich flennte so heftig, dass ich wahrscheinlich sogar sabberte. Und für eine Sekunde drang ich zu ihm vor, plötzlich war Sal direkt neben mir, und wir atmeten beide den Rauch des Feuers ein, während behandschuhte Finger nach uns griffen.
    Die Augen des Jungen waren wie Fenster, hinter denen er irgendwo gefangen war, ohne die Kraft, sich weiter zu verstecken.
    »Die Zahl«, sagte ich zu ihm, oder zumindest versuchte ich es. Wozu denn noch? Jetzt war sowieso alles verloren.
    Aber dann überraschte mich der Kleine. Seine Stimme war völlig klar.
    »Es gab nie eine Zahl«, sagte er, während die Anzugträger ihn hochhoben und auf die Flammen zuschoben. »Ich habe sie nur erfunden«, rief er mir zu, bevor er ein für alle Mal verschwand. »Damit du mich mitnimmst.«
    Und dann war er weg. Wahrscheinlich war er immer noch high gewesen, denn ich hörte ihn kein einziges Mal schreien.
    Ich spürte Hände an meinem Körper und glaubte zu wissen, was nun kam. Jetzt würden sie mich auch gleich verbrennen. Und ich konnte nur daran denken, dass Frost es schon geschafft haben musste. Er hatte die Koordinaten und das Navi. Er war jetzt irgendwo da draußen. Genau wie mein Vater. Umgeben von Bäumen und Mördern.
    »Wartet«, rief einer der Agenten. »Er sollte getestet werden.«
    Sie zerrten mich auf die Füße.
    Ich rührte mich nicht. Spürte weder, wie die Nadel eindrang, noch wie das Blut herausgezogen wurde. Aber ich sah sie, diese dunkelrote Flüssigkeit. Ob es nun daran lag, dass sie mir Blut abzapften, oder daran, dass ich gerade so viel Kraft vergeudet hatte – plötzlich fühlte ich mich leer. Als sie mir die Nadel aus dem Arm zogen, versank ich tief in meinem Inneren, wo mit einem Mal undurchdringliche Finsternis herrschte.

Kapitel 43
    D as war das Seltsamste an dem Zeug, das sie mir gegeben hatten – im Wachzustand fühlte sich alles an wie ein Traum, aber wenn man weggetreten war, kamen keine Träume. Es war wie in einem tiefen Abgrund, in dunkelster Nacht. Die Geschehnisse der Welt waren genauso ausgeblendet wie alles, was man in seinem Innersten verbarg.
    Als wir auf dem Schiff waren, durften wir dann irgendwann zu uns kommen. Das konnte nur bedeuten, dass wir bald da waren – irgendwie wusste ich das.
    Sie fütterten uns. Mit dem saftigsten Mais, den ich je gegessen hatte. Sie gaben uns Wasser, dann zogen sie uns aus und rasierten unsere Schädel. Ich wartete. War immer noch nicht ganz da. Musste meine Augen abschirmen, weil die Neonlichter so grell waren. Aber sobald ich konnte, stolperte ich in dem großen Frachtraum herum, in dem wir hatten aufwachen dürfen. Immer in Richtung Ausgang. Irgendwie schaffte ich es raus aufs Deck.
    Ich weiß nicht, wie spät es war. Vielleicht früher Morgen. Ganz allein stand ich da. Unter der Plastikplane, die sie mir umgehängt hatten, war ich ganz knochig. Da draußen war es so kalt, dass ich mich gleichzeitig wie neu geboren und uralt fühlte. Und die Kälte tat weh. Fast wäre ich wieder reingegangen, zurück zu den anderen. Doch dann hüllte die Kälte mich ein, und ich biss mir einfach nur auf die Zunge. Ich beobachtete, wie meine Hände zitterten und meine Zehen langsam blau wurden.
    Während ich mich weiter auf das Deck vorwagte, bemerkte ich das Wasser links und rechts und sah mich auf dem Schiff um. Oberhalb des Laderaums befand sich die Brücke und darüber ein Geschützturm. Alles war in Schwarz und Silber gehalten, nirgendwo Violett. Keine GenTech-Logos zu sehen. Es war bestimmt nicht das größte Schiff, das man sich vorstellen konnte, aber das war auch gar nicht nötig. Das Wasser war ruhig. Und es erstreckte sich, so weit das Auge reichte.
    Ich wickelte mich in meine Plane und zog die Schultern hoch. Jeder Hauch aus meinem Mund hatte dieselbe Farbe wie die Wolken am Himmel. Die Luft war so kalt, dass sogar das Atmen schwerfiel. Aber das half mir dabei, wieder klar zu denken,

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