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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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selbst wenn mein Körper sich anfühlte, als würde er gleich zerspringen.
    Mein Blick wanderte zurück zu den Stahlwänden des Frachtraums, in dem sich meine Mitüberlebenden drängten. Sie waren den Flammen entkommen. Dem Feuer entkommen, ja.
    Aber noch immer gefangen.
    Ich dachte an Sal. Er war so high gewesen, dass er nicht einmal Angst gehabt hatte. Sogar seine Gefühle hatten sie ihm gestohlen, als sie ihn ins Feuer warfen. Und ich hatte Sal behandelt wie den letzten Dreck, eigentlich von Anfang an. Ich meine, was hatte er denn schon groß getan? Er hatte nur darauf reagiert, wie die Welt ihn behandelt hatte.
    Mit einem Vater wie Frost, was hatte er denn da noch für Chancen? In mir stieg das Bild auf, wie Hina den Jungen im Arm gehalten und ein wenig Gefühl gezeigt hatte. So konnte man etwas wirklich Gutes für einen Menschen tun. Indem man etwas gab, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Aber Hina war auch weg. Schaudernd erinnerte ich mich daran, wie sie mir ihre Geheimnisse anvertrauen wollte, dann aber entführt und von dem Schwarm überwältigt worden war. Und wer war noch übrig? Ich. Crow vielleicht?
    Ich starrte auf den Frachtraum.
    Und was war mit Alpha?
    In der Fabrik – oder was auch immer das gewesen war – hatte ich sie nirgendwo entdeckt. Seit der Maisplantage hatte ich sie nicht mehr gesehen. Als sie hinten im Wagen sterbend in meinen Armen lag. Tödlich getroffen von der Kugel des Wilderers, die ich genauso gut hätte selbst abfeuern können. Mit meinem Egoismus hatte ich sie praktisch alle umgebracht. Ohne nachzudenken, war ich herumgerannt, statt einfach zu tun, was ich versprochen hatte, und diese Bäume zu suchen.
    Und komischerweise waren mir diese verdammten Bäume in dem Moment völlig egal.
    Ich wollte einfach nur mein Piratenmädchen zurückhaben.
    Ich wollte sie genauso wie damals, als ich mit leeren Händen und überquellendem Herzen barfuß durch Old Orleans gerannt war. So wie man etwas will, wenn alles einem sagt, dass man es nicht kriegen wird.
    Der Gedanke, nach ihr zu suchen, machte mir Angst. Angst, so Gewissheit darüber zu bekommen, dass sie nicht mehr da war. Wahrscheinlich hatte sie es nicht einmal bis in die Fabrik geschafft. Und falls doch, war sie wahrscheinlich genau wie der arme Sal in die gierigen Flammen geworfen worden. Wie sollte ich es ertragen, sie nicht zwischen den rasierten Entführungsopfern zu sehen, die sich auf diesem hässlichen Kahn zusammenkauerten? Was sollte ich tun, wenn sie zu Rauch und Asche geworden war, wo sie doch eigentlich hier neben mir stehen und ihre Stimme frei erklingen lassen sollte?
    Irgendwann taumelte ich los und versuchte sie zu finden. Denn selbst wenn es keine Hoffnung mehr gibt, findet man irgendwie doch noch eine Möglichkeit, das festzuhalten, was man braucht.
    Ich lief über das Deck, doch schon nach wenigen Schritten stolperte ich und fiel hin. Landete auf meinem Gesicht und kroch weiter, zog mich durch eisige Pfützen. Und als ich das Wasser schmeckte, hielt ich inne und starrte über die Bordwand hinweg nach unten.
    Wasser. Ruhiges Wasser. Bis zum Horizont. Und dieses Wasser war nicht nur ruhig, es war auch erfrischend. Wie aus einem Fluss. Wasser, das man trinken konnte, kein Salzwasser wie in der Brandung. Wir fuhren auf einem See. Einem kalten, tiefen, großen See.
    Die schneidende Kälte verriet mir, dass wir irgendwo weit im Norden waren. Wenn es so früh schon derart kalt war, mussten wir uns jenseits der geschmolzenen Ödnis befinden. GenTech hatte sich offenbar irgendwie einen Weg durch den Qualm und die Asche des Großen Grabens gebahnt. Und wenn das hier ein See war, musste es auch irgendwo ein Ufer geben. Einen Ort, an den sie uns bringen würden. Und einen Grund, warum sie uns am Leben gelassen hatten.
    *
    Ich stürmte durch die Stahltür und ließ mich von der warmen, verbrauchten Luft einhüllen, spürte, wie jeder Quadratzentimeter Haut und jeder Knochen wieder zum Leben erwachten. Während ich auftaute, lehnte ich mich gegen die Tür. Dann sah ich mich aufmerksam im Frachtraum um.
    An den Wänden standen Agenten aufgereiht, deren violette Anzüge sich deutlich von der weißen Farbe und dem bläulichen Neonlicht abhoben. Und natürlich waren sie bewaffnet. Pistolen im Gürtel, mit Stacheln bewehrte Schlagstöcke in den Händen. Doch diese Agenten mussten sich keine Sorgen machen. Meine Mitgefangenen fingen zwar langsam an, sich zu rühren, sahen aber immer noch aus wie lebende Leichen.
    Leere Augen.

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