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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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waren, warum nahmen sie dann jedem von uns Blut ab, um es zu testen? Denn genau das taten sie – sie zogen das rote Zeug in kleine Plastikkanülen auf.
    So wie ich das sah, gab es zwei Möglichkeiten, was mit dir passieren konnte, nachdem die Agenten dich getestet hatten. Zwei Alternativen für all jene, die entführt worden waren.
    Variante eins: Die Agenten schnappten sich das Blut, machten den Test, und dann war man plötzlich weg. Verschwunden. Keine Ahnung, wohin. Aber das war noch besser als die Alternative. Viel besser.
    Denn bei der zweiten Variante schnappten sich die Agenten das Blut, machten den Test, aber anschließend sahen sie einfach durch dich hindurch.
    Und dann verbrannten sie dich.
    Mitten im Sammelbereich gab es eine im Boden versenkte Feuerstelle. Eine Flammengrube.
    Das war Variante zwei. Es ist also verständlich, warum die erste so viel besser war. Insbesondere, wenn man erst mal einen Tag lang die Asche all der armen Schweine eingeatmet hatte, die gegrillt worden waren.
    Kann auch sein, dass es mehr als ein Tag war. Oder es war nur eine Stunde, und jede Minute fühlte sich an wie zwanzig. Durch die Drogen, die sie uns verabreichten, lief alles ziemlich ruhig ab. Meistens zumindest.
    Hin und wieder entkam jemandem ein leises Stöhnen, als wollte derjenige sich selbst aufwecken.
    Ich war allerdings schon wach genug. Innerlich zumindest. Angestrengt versuchte ich herauszufinden, was hier eigentlich passierte, während ich dabei zusah, wie die bemitleidenswerten Kreaturen vor mir an die Reihe kamen.
    Bei einer einarmigen Frau fiel der Test positiv aus, und die Agenten zerrten sie davon. Das blonde Kind, das als Nächstes dran war, fiel durch. Krampfhaft schloss ich die Augen.
    Und so ging es immer weiter, einer nach dem anderen. Die violetten Anzüge schoben sich durch die Menge, riefen Nummern auf, schleppten Körper fort und fachten die Feuergrube in der Mitte des Raumes an.
    Weiter, immer weiter. Was anfangs grauenhaft war, wurde nur noch schlimmer. Egal wie viele Mauern mein Verstand oder die Drogen errichteten, sie wurden alle schnell wieder eingerissen, und die Realität bohrte sich in mein Bewusstsein wie eine Rasierklinge, die bis auf den Knochen schneidet. Irgendwann war es so schlimm, dass ich mich danach sehnte, selbst getestet zu werden, einfach damit ich nicht länger zusehen musste. Nicht mehr miterleben musste, wie ein Kind der Mutter entrissen wurde oder wie sie einem Mann die Frau wegnahmen. All diese unbekannten Gesichter. Diese Fremden.
    Doch dann änderten die Anzugträger sogar das. Denn aus einer dunklen Ecke holten sie jemanden hervor, den ich kannte.
    Es war Crow. Seine obere Körperhälfte hatte sich noch nicht von den Verbrennungen erholt, und die untere war nicht mehr da. Komplett weg, verloren im Rachen des Häckslers. Die Agenten trugen Crows Torso auf den Sammelplatz. Und während sie ihm die Nadel in den Arm stachen und das Blut abzapften, regte sich eine boshafte, kleine Stimme in mir, die nach ihm rufen wollte.
    Hey, kleiner Mann. Das wollte ich schreien.
    Total krank, oder?
    Das mussten wohl die Drogen sein.
    *
    Crow bestand den Test und wurde weggebracht. Unwillkürlich fragte ich mich, wie sie es geschafft hatten, dass er nicht mitten in der Maisplantage verblutet war. Und wo sie ihn jetzt hinbrachten. Aber mir blieb nicht viel Zeit für solche Überlegungen, denn im nächsten Moment hatten die Agenten Sal herangeschafft, und an ihren Gesichtern konnte ich ablesen, dass der arme Kerl den Test nicht bestanden hatte.
    Der Anblick, wie Sal auf die Flammen zugeschoben wurde, löste etwas in mir aus. Er bohrte sich in meinen Schädel und drang bis in die Tiefen meines Bewusstseins vor, und plötzlich konnte ich mich wieder bewegen. Doch während ich mich aufrappelte und zu den Agenten hinübertaumelte, kam es mir so vor, als würde irgendjemand anders meine Muskeln steuern, als wäre es nicht mein Mund, aus dem dieser Schrei aufstieg. Als wäre es nicht mein Freund, der bei lebendigem Leib verbrannt werden sollte.
    War er das denn? Mein Freund?
    Ich weiß es ehrlich nicht, aber ja, ich würde gerne glauben, dass er mein Freund war. Deshalb muss es ihn tief verletzt haben, als er mich erkannte, ich aber immer nur rief: »Die Zahlen, die Zahlen! Verrat mir die Zahlen!«
    Und vielleicht hatte uns alle nicht sehr viel mehr verbunden. Nicht nur den dicken Jungen und mich, sondern auch Crow, Alpha und Zee. Uns alle eben. Alles, was wir wollten, waren diese

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