Der eiskalte Himmel - Roman
ganz abwesend, wie bereits davongeflogen erschien, gern hätte ich ihm in dem Lärm der angeworfenen Motoren zugerufen, was Pastor Gunvald in dem tief verschneiten Kirchlein von Grytviken uns Antarktikern zurief.
»Kehren Sie um, Mannock, wenn es Ihnen nicht ergehen soll wie König Sverre!«
Ich weià nicht, weshalb mir ausgerechnet dieser Satz in den Sinn kam, als ich Mannock den Fisch gab und Ennid, die weinend dabeistand, mich wiedererkannte. Im Propellerwind zurücktaumelnd zur Absperrung, erkannte ich plötzlich, was für mein Glück verantwortlich gewesen war. Ohne den Zettel im Bauch des Fisches gelesen zu haben, wusste ich mit einem Mal, was darauf geschrieben stand, und wusste zugleich, dass die Worte nicht mehr bedeuten konnten als der Fisch selbst. Furchtbar, aber weil er nicht von ihr kam, würde Ennids Talisman Mickie Mannock kein Glück bringen können. Und meine Aufrichtigkeit reichte dazu nicht aus, sie war wie Ennids Schluchzen, wie ihre Tränen, er würde sich daran erinnern, aber nicht festhalten können.
Von den drei Fliegern kehrt nur Willie-Merces erster Namenspatron lebendig zurück, William Bishop, der eines Nachmittags kurz nach dem Krieg sogar in unserer Küche sitzt und meinem Vater erklärt, wie stolz er auf seinen Dafydd sein könne. Albert Ball wird Anfang Mai 1917 von der Jagdstaffel Lothar von Richthofens abgeschossen. Mickie Mannock stirbt 14 Monate später, im Juli 1918, durch das Feuer deutscher Infanterie, als er, wie es sein Markenzeichen war, einem vom Himmel geholten Gegner am Boden eine Trophäe abzujagen versucht. Im South Wales Echo steht zu lesen, dass man den gefallenen Helden umgehend mit dem Viktoriakreuz ausgezeichnet und den Orden seinem Vater überreicht habe.
Auch Pastor Gunvald überlebt den Krieg nicht. Ich erfahre von seinem Tod aus einem Buch mit Fotografien von Frank Hurley, das mir meine Eltern zum 21. Geburtstag schenken. Zu einem Bild, das kurz nach der turbulenten Predigt von Grytviken entstanden sein muss und das Gunvald in lächelnder Pose mit Kapitän Jacobsen und seiner Frau zeigt, schreibt Hurley knapp, das Schiff, mit dem der Pastor von den Falklands nach Chile zu entkommen gehofft habe, sei von einem U-Boot torpediert und versenkt worden.
»Es gibt«, so Hurley, »keine weiteren Lebenszeichen von diesem Glaubensmann.«
Ein anderes Bild in Hurleys Buch, das wie sein späterer Film »Im Griff des polaren Packeises« heiÃt, zeigt seltsamerweise ausgerechnet Alf Cheetham und Tim McCarthy an einem Tag an Bord der völlig überfrorenen ENDURANCE , an den ich mich gut erinnere. Es ist der Tag von Orde-Leesâ Eisausflug mit dem Fahrrad, und tatsächlich lehnt das Gefährt auf dieser Fotografie an Mutter Greens Kühlkiste.
McCarthy ist der Erste aus der alten Mannschaft, der sein Leben im Krieg lässt. Ich erfahre davon erst sehr viel später aus einem Brief, den mir Tom Crean aus Irland schickt. Tim McCarthy, mit dem ich in all der Zeit im Eis nie wirklich ein Wort gewechselt habe, stirbt an seiner Schiffskanone im Ãrmelkanal, kaum dass er drei Wochen zurück ist in England. Auf Hurleys Aufnahme halten sie einander im Arm, McCarthy und Cheetham, und ich meine, mich an Alfs Lachen erinnern zu können, wenn er gut aufgelegt war und seinen Eisheiligenstatus von niemandem in Abrede gestellt sah. Doch trotz des Fahrrads und des Frostes überall, an den Moment der Aufnahme entsinne ich mich nicht, sooft ich mir dieses Bild, das nur noch zwei Gespenster zeigt, ansehe. Alfred Cheetham war eine Berühmtheit. Kein anderer Südpolfahrer hat den Polarkreis öfter überquert als er, deshalb ist sein Tod wenige Wochen vor Waffenstillstand sogar dem Echo eine Meldung wert.
Deutsches U-Boot versenkt Minensuchboot vor Humber-Mündung:
Endurance -Veteran Cheetham ertrunken
Dafydd traut seinen Augen nicht, als er begreift, was er da in Händen hält. In der Rechtschreibung des Herzens schreibt mir Tom Crean in seinem Brief, er sei in seinen Heimatort Anascaul zurückgekehrt und habe dort ein Pub eröffnet. Als würden sie sich dort allabendlich am Tresen versammeln und den Wirt teilhaben lassen am geisterhaften Fortgang ihres Lebens, weià Crean zu berichten, was aus Orde-Lees, Wild, Clark und vielen anderen Männern von der ENDURANCE geworden ist. Sie schreiben ihm ihrerseits Briefe, schicken Bilder, oder einer ist auf Vortragsreise und macht
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