Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
Laterne hängt dort unterm Verandadach, seitdem ich denken kann. Herman schickte noch eine Karte aus Paris: »Ich sehe mir den Triumphbogen und das Panthéon an, gehe viel in der schönen Sonne spazieren.« Ein paar Tage darauf wurde sein Mechanikertrupp an die Somme beordert. Ich denke an Mrs. Cooper, ihren Mann den Rugbytrainer und den angeblich fledermausgleichen Granatsplitter, der ihm den Arm abriss. Fledermäuse fliegen Menschen niemals an, sie segeln hoch über den Köpfen, wo sie sicher sind, nur Luft und Insekten zu finden. Die Granate, habe ich gelesen, wird in gezackte Eisensicheln zerrissen. Die Fragmente der größten von den Deutschen verwendeten Kaliber sind so schwer, dass zwei Mann sie kaum heben können. Und doch rasen die Splitter mit vielen hundert Stundenkilometern durch die Luft und reißen den Soldaten den Leib auf oder einen Arm, ein Bein oder den Kiefer ab.
    Willie-Merce schläft in seinem Stubenwagen, und Regyn liegt auf dem Bett, sie hat sich die Steppdecke ans Kinn gezogen und schlummert. Ich setze mich zu ihr und schaue sie an. Sie hat wochenlang geweint. Und sie ist wieder dürr wie damals, als ihre Arme und Beine nicht mehr aufhörten zu wachsen und sie plötzlich größer als ich war.
    Aber, sagt Mom, es geht ihr besser, seit ich zurück bin. Auf dem Nachttisch steht ein Foto von Herman. Er trägt Anzug und Hut und sieht stolz aus. Er hat einen Holzpropeller neben sich aufgestellt, der ihn um zwei Köpfe überragt.
    Willie-Merce schläft ganz friedlich, wie eine friedliche Miniatur unseres Vaters liegt er in seinem Korb und röchelt leise. In der Küche steht der Teller, den Mom für mich bereitgestellt hat, ich esse ein paar Happen im Stehen und gehe mich dann waschen. Aus dem Zimmer kommt Willies Quaken, und als ich nachschauen gehe, sitzen beide schon auf dem Bettrand, der Kleine auf Regyns Knie, und sehen mich an.
    Â»He, guck, guck. Alles in Ordnung mit euch zwei Süßen?«
    Ich soll ihr noch einmal von Punta Arenas erzählen. Sie liegt in meinem Arm, und immer wieder fallen ihr die Augen zu. Aber manchmal huscht auch ein Lächeln über ihre Lippen, deshalb rede ich weiter und atme währenddessen den Milchgeruch ein, den sie verströmt. Ich erzähle von dem strahlend blauen Junitag, an dem wir von den Falklands kamen, und von dem unglaublichen Empfang, den uns die Chilenen bereiteten. Und um sie ein bisschen aufzuheitern, erzähle ich diesmal auch, dass Shackleton von einem kleinen Hafen weiter südlich unter falschem Namen telegrafiert und seine triumphale Rückkehr selbst angekündigt hatte.
    Dutzende Schiffe und Boote kamen uns aus dem Hafen von Punta Arenas entgegengefahren, und die größten und schönsten unter ihnen, erzähle ich Regyn, kamen mir in dem Licht und dem Lärm der Hörner und Tröten wie Gesandte vor, Gesandte nicht nur der Länder, unter deren Flaggen sie fuhren, sondern als wäre jedes von ihnen von einem unserer 22 Kameraden geschickt worden, die währenddessen auf der Elefanten-Insel auf ihre Rettung warteten. Für mich schwammen dort auf dem Meer die GREENSTREET , die WILD , die HOW und die HOLNESS .
    Â»Es waren 15 große Dampfer und sieben Segelschiffe, glaub’s mir. Ich habe sie dreimal gezählt, es waren genau 22.«
    Â»Wie die Fische«, sagt sie, kaum hörbar, in unser Kissen.
    Â»Welche meinst du?«
    Sie öffnet die Augen und sieht mich an. »Die ganz weißen Fische, im Bauch von diesem Ungeheuer.«
    Â»Ja, der Seeleopard, stimmt, da waren wir noch 28.«
    Â»Ein ganzer Februar«, sagt sie und streicht mir mit dem Daumen über den Mund und den Bart, den ich mir habe wachsen lassen, um die kaputte Haut darunter zu verstecken. »Und jetzt sind alle, die dabei waren, gerettet und in Sicherheit.«
    Was, du Süße, leider nicht stimmt. Zur selben Zeit, als wir 28 im Weddellmeer ums Überleben kämpften, starben auf der anderen Seite der Antarktis drei Männer der Rossmeer-Abteilung, darunter der Kapitän der AURORA , Aeneas Mackintosh. Er, Hayward und Spencer-Smith verloren ihr Leben beim Versuch, für uns Depots anzulegen, in deren Nähe wir nie und nimmer hätten gelangen können.
    Regyn braucht davon im Augenblick nichts zu wissen. Wieder bei Kräften, wird sie von Freundinnen, deren Männer die Zeitung lesen, früh genug erfahren, wie sehr man Shackletons Ruhm bereits anzweifelt. Der

Weitere Kostenlose Bücher