Der Eisvogel - Roman
Heimsuchungen, ein Traum von Gespenstern, Leben, einfach und wahrhaftig und hell
– Sie kriegen ein Zäpfchen, hat der Doktor angeordnet, weil Sie schon zwei Tage keinen Stuhlgang mehr hatten, bitte zur Seite drehen, Herr Ritter, – Es ist nicht Schwester Silke, wenigstens das, sondern dieser Spätdienstdrachen, der einem wandelnden Faß gleicht, eine Hexe mit Waberbusen, feministischem Background und Stentororgan, bestimmt kennt sie genau ihre Rechte, die Stimme wie eine Nutfräse, das ist die Rache dieses verdammten Arztes, er will mir zeigen, wer hier den Bizeps hat, wieso ist Silke auch so doof und sagt ihm das mit der Aspirin, gleich wird mir Brünhilde mit Genuß, die Zungenspitze im Mundwinkel, eine dieser weißen Darmpatronen in den Hintern bohren, wenn ich nur aufstehen könnte
[ PATRICK G. { ... }] ich kenne Wiggo noch nicht so lange, und ich weiß nicht, ob ich ihn besonders gut kenne – wie Sie vielleicht vermuten oder hoffen. Aber wer kennt selbst diejenigen wirklich, die er seine Freunde nennt. (Kennen Sie Ihre Mutter, Herr Verteidiger? Vorsicht.) Ich würde von Wiggo noch nicht einmal behaupten wollen, daß er mein Freund ist, wenn man mich danach fragte. Ich bin der Freund seinerSchwester Dorothea, und damit läuft es ja, wenigstens prinzipiell, auf diese altmodische Schwager-Schwager-Geschichte hinaus, und das ist eine komische Beziehung, die mit Freundschaft nichts zu tun haben muß. Sie haben mich gebeten, das alles hier aufzuschreiben, mein Verhältnis zu ihm undsoweiter, wie Sie es ausgedrückt haben; aber wenn ich Ihnen schreibe, daß ich mir darüber noch gar keine großen Gedanken gemacht habe, weil Wiggo mir, um gleich mit offenen Karten zu spielen, immer ziemlich egal gewesen ist, auch wenn ihm das ganz und gar nicht so vorgekommen sein mag, weil er sich a) überaus wichtig nimmt und für wer weiß was hält und sich demzufolge gar nicht vorstellen kann, daß er anderen egal sein könnte, und weil wir uns b) bei verschiedenen Gelegenheiten, nun, ich will es nicht mit dem Wort gestritten, sondern eher mit aufeinander eingelassen haben ausdrücken – was taugt Ihnen mein Brief dann, müssen Sie dann nicht den Eindruck gewinnen, daß hier einer nur von Vermutungen und Spekulationen ausgeht? Können Sie das gebrauchen? Ich frage das, weil die Angelegenheit natürlich auch ihre pragmatische Seite hat. Dieser Brief wird mich einiges meiner Zeit kosten, für die ich bestimmt nicht bezahlt werde. Jedenfalls nicht von Ihnen, der Sie mit festem idealistischem Blick auf mich zugetreten sind und mit festen idealistischen Worten an meinen Idealismus appelliert haben, doch mal eben ein paar Gedanken zu meinem Fast-Schwager zu Papier zu bringen? Womöglich wollen Sie dann mein Schriftstück dazu benutzen, es in einem sogenannten Fall zu verwursten (läuft nicht Wiggos Angelegenheit darauf hinaus?), der Ihnen das Lob Ihres Kanzleichefs oder gar akademische Meriten einbringt? Vielleicht gedenken Sie damit zu promovieren, es zu veröffentlichen, weiß ich denn, was in jungen, aufstrebenden Anwälten vorgeht.
Ich will es mal professionell angehen, soll heißen, vor dem Hintergrund gewisser Eigentümlichkeiten meines Berufs. Ich weiß nicht, ob Wiggo Ihnen etwas über mich erzählt hat? Was ich nicht annehme, aus verschiedenen Gründen, deren wichtigster ist, daß Wiggo auf merkwürdige Weise Diskretion mit Eigenliebe verbindet, einer Eigenliebe, die nicht so weit geht, sich mit Randfiguren wie mir zu befassen, noch dazu solchen, die im laut Wiggo beschissensten Medium der Neuzeit tätig sind, dem mit der Werbung und den Spielfilmen dazwischen. Und jetzt tue ich mal so, als wäre ich in meinem Sender nicht der Mitarbeiter der Comedy-Show, der ich bin, sondern Beauftragter der Produktionsleitung und hätte zu prüfen, was Quote bringt und was nicht. Ich komme zum Punkt und damit zu Wiggo zurück. Er säße vor mir, dem Quoten-Augur, und die moderne Eingeweideschau würde nun so aussehen, daß ich Wiggo eine Reihe Videos abspiele und gut auf seine Reaktion aufpasse. Mit unfehlbarer Sicherheit wird er dasjenige Video als das beste bezeichnen, das der Graus der Werbepartner, das Entzücken des überregionalen Feuilletons und die Ursache dafür ist, daß die Produzenten am runden Geldgebertisch plötzlich fieberhaft nach ihren Asthmasprays suchen. Zum Beispiel einen Film, in dem nichts weiter zu sehen ist als eine blaue Leinwand, und das zwei Stunden lang, wo demzufolge so etwas wie Handlung nur als Fehlfarbe
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