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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Apparaturen, den Schwestern rann der Schweiß in Bächen unter ihren Skaphandern, ich schwitzte nicht, dein Körper, sagte Jost, hatte hier und hier, er wies auf die Stellen, die Haut gar nicht mehr, die hätte schwitzen können, dann haben sie dir Flammazine-Salbe aufgetragen; entschuldige, ich weiß, das klingt ein bißchen taktlos, aber du sahst aus wie eine in Honig eingelegte Mumie; ich lächelte, als er mir das sagte, inzwischen habe ich die Unfallchirurgen hier ein wenig kennengelernt, sie sind nicht sonderlich zartbesaitet, keine bemutternden Händchenaufleger, sondern ziemlich rauhe, ungehobelte Burschen. Obwohl Jost einfühlsamer als seine Kollegen ist, wird der harte Dienst auch auf ihn abgefärbt haben
    – ich bin dir noch etwas schuldig, sagte Manuela, das Licht auf dem Flur im Starnberger Haus, in dem es jetzt still war, obwohl die Tanzkapelle draußen noch spielte, Gelächter und Fetzen von Musik, die schleierig und fern heraufdrangen, wir waren allein auf dem Flur, sie stand vor mir und sah mich an, der volle feingezeichnete Mund bereit zu einem spöttischen Lächeln, aber ihre Augen waren ernst, ich umklammerte einen Zipfel des Badetuchs, Wassertropfen tackten auf den Boden, der Duft von Lady Knize, plötzlich streckte sie die Hand aus, zögerte, nahm einen Rest Schaum von meinen Schultern
    [ PATRICK G. {...}] Dorothea hatte uns die Karten verschafft, Jost und mir. Sie hatte sie über ihren Vater bekommen. Jahresfest der deutschen Industrie, so hieß es, glaube ich. Schöne Karten, Büttenpapier, bedruckt in einer dieser Computerschreibschriften, die man unwillkürlich an die Nase hält,um sich des Fliederparfums zu vergewissern. Wiggo schielte nach dem Exemplar, das ich in den Händen hielt, und bekam wieder einen seiner Wutausbrüche, die einen Abend mit ihm niemals langweilig werden lassen. Von einer Bank! rief er. Die Geldschneider entblöden sich nicht, sich beim Kitsch zu bedienen und mit diesen Poesiealbumschleifen zu ihren Geschäften zu laden; vom Computer imitierte Handschrift! Wie ekelhaft, geradezu pervers das sei; wie verkommen die Moral, das Empfinden für Stil, wie ich zu dieser Karte komme, und ob Dorothea noch eine übrig habe
    [ DOROTHEA R. {...}] wir sind in ein Schuh-Kaufhaus gegangen, einen dieser modernen Tempel, die unten die Frauen- und eine Etage höher die Herrenabteilung haben. In der Frauenabteilung herrscht Bienengesumm. Geduldige Verkäuferinnen beraten heikle Kundinnen. In der Mitte steht ein Tisch, daran sitzen die Ehemänner, blättern in Auto- und Fußballzeitschriften, wagen nicht, auf die Uhr zu sehen und sagen so lange ja zu allen Schuhen, die ihre Frauen ihnen vorführen, bis die Atmosphäre vor Gewitter knistert. In der Herrenabteilung dagegen ist niemand zu sehen als ein paar Rentner, die Schuhe mit Korkfußbetten, zeitlosem Schnitt und Einlegesohlen anprobieren. Wiggo ließ drei Verkäufer drei Reihen Schuhe aufbauen, griff bei einem Paar Mokassins nach der Innennaht und erklärte dem ersten Verkäufer, daß er diese Innennaht nicht tasten könne, aber nur diejenigen Mokassins gute und echte Mokassins seien, bei denen diese Innennaht tastbar sei; prüfte Brandsohlen und die Verarbeitung von Absätzen, fragte nach dem Material der sogenannten Gelenkfeder. Ich wußte bis dahin nicht einmal, daß es so etwas wie eine Gelenkfeder in Schuhen gibt. Der Verkäufer zuckte die Achseln, sagte: Plastik. Daraufhin zuckte Wiggo die Achseln, sagte, daß eineGelenkfeder, die den Namen verdiene, aus Eschen- oder Buchenholz und zur Not auch einmal aus Stahl bestehen müsse, aber nicht aus Plastik. Der Verkäufer nickte. Der dritte ging nach hinten und kam nach einer Minute mit seinem Chef zurück. Wiggo fragte nach einem bestimmten Schuh, Oxford Straight Tip. Die Brandsohle müsse aus altgrubengegerbtem Leder, sogenanntem Rendenbach-Leder, sein, erklärte Wiggo dem aufmerksamen Chef. Ich ging inzwischen nach unten. Nach einer Stunde kam ich mit meinem Päckchen wieder. Die Schuhbatterie war um einiges länger geworden, die Frisuren der Verkäufer um einiges aufgelöster. Wiggo stand inmitten von Schuhkartons und sah zu, wie ein Verkäufer ihm einen Schuh anpaßte, während ein anderer mit einem Hersteller telefonierte und wissen wollte, ob seine Serie nach dem Goodyear-welted- Verfahren gearbeitet sei. Inzwischen gab es auch Zuschauer. Sie standen mit verschränkten Armen am Rand und schienen Wetten abzuschließen. Boxcalf! rief Wiggo. Das ist doch kein Boxcalf! Da platzte

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