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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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so nennen wollt, perfide, aber es ist so. Es ist eine dunkle und abgründige Verbindung, es ist das Geheimnis der Verwandtschaft von Herrscher und Beherrschtem
    – hörte ich Mauritz’ Stimme, als wir abends am Lagerfeuer saßen. Die Zelte waren aufgebaut, in denen wir übernachten würden. Manuela war ins Haus gegangen, das hinter dem Übungsgelände am Ufer eines kleinen Sees stand. Funkenflug, das Zirpen der Grillen, ich fühlte mich ausgelaugt und müde, die anderen erzählten sich ihre Lebensgeschichten, Mauritz starrte mit abwesendem Gesichtsausdruck ins Feuer, Frenss fingerte auf einem Akkordeon herum, und nachher, im Zelt, in der stickigen Luft, gehüllt in das Gemurmel fremder Stimmen,fragte ich mich, was ich hier eigentlich machte, ich, der Philosoph, in einem paramilitärischen Ausbildungscamp, kurz nach dem Zwischenfall in der U-Bahn. Mauritz hatte gemeint, daß es besser sei, das Training vorzuziehen und auf Frenss’ Besitz für eine Weile unterzutauchen, eine Woche, vierzehn Tage, bis Gras über die Sache gewachsen sei. Ich solle unbesorgt sein, die Organisation Wiedergeburt habe gute Verbindungen
    – wir lagen wach auf den kojenschmalen Pritschen, ich war dankbar, daß die anderen mich nicht mit Fragen behelligten, dann, in der Dunkelheit, hörte ich, wie jemand – war es Mauritz, ich weiß es nicht; wenn er es war, dann sprach er mit stark veränderter Stimme – ein Gedicht rezitierte, Menons Klagen um Diotima, Hölderlin, Täglich geh ich heraus, und such ein Anderes immer
    [ DOROTHEA R. {...}] dann mach was anderes, Wiggo, ach Gott, sei doch nicht so weinerlich, du tust ja geradeso, als müßtest du verhungern ... Lies mal, was in Argentinien los ist oder Afrika, – Ja, fauchte er, oder in Nahost, Indonesien undsoweiterundsofort, ich lebe aber hier, Dorothea, kapiert, mich interessiert, was hier passiert, mit mir, du weißt ja nicht, wie das ist, du in deinem Halbgottjob, du hast gut reden, verdienst gutes Geld, bist drin im Leben, – Ach, ist es plötzlich dein tiefster Ehrgeiz, drin zu sein im Leben, nachdem du doch immer so gegen das System gewettert hast, sagte ich, vielleicht eine Spur höhnischer, als ich gewollt hatte, denn plötzlich packte er mich, so heftig, daß es mir weh tat, und schob mich zur Tür hinaus, knallte sie zu
    M anchmal, wenn ich wach liege und, wie jetzt, nicht schlafen kann, kommt es zurück, das Feuer, die Hitze, Manuela ist vor Schreck wie gelähmt, ich blicke auf den toten Mauritz und die Waffe in meiner Hand und begreife nichts, sehe, daß es rings um uns brennt brennt brennt, Manuela, die reglos stehenbleibt und keinen Entschluß fassen kann, auch dann nicht, als ich schreie, Feuerwände rasen von links und rechts auf uns zu, unsere Kleider beginnen zu rauchen, wir suchen einen Ausgang, sehen ein rettendes schwarzes Viereck im lodernden Orange, wir halten uns bei den Händen, rennen auf dieses Nadelöhr zu, das nicht näher kommen will, manchmal wache ich auf in der Nacht und sehe uns immer noch auf die Tür zurennen, Planken, brennenden Verpackungen, herumsegelnden Feuerfetzen ausweichend, aber wir schaffen es nicht in meinen Träumen, dann muß ich aufstehen, etwas trinken, frische Luft am Fenster atmen gehen, muß etwas lesen oder eine der Klassik-Nachtsendungen hören, die es wunderbarerweise noch gibt, dorthin also haben sie sich zurückgezogen von Tageslärm und Event-Kultur, dort geben sie ihnen noch eine Aschenputtelecke, ich werde ruhiger bei den Klängen eines Divertimentos von Mozart oder Webers Klarinettenkonzerten; vor der Fabrik die mit Regenwasser gefüllte Wanne, in die ich Manuela stoße, ihr Haar ist vor meinen Augen geschmolzen wie Schneckenfühler sich zurückziehen, dann weiß ich nichts mehr, die Erinnerung flackert; Ärzte, die mir etwas spritzen, mir die Kleider vom Leib schälen, mit Kanülen meine Schmerzempfindlichkeit prüfen, Bewußtlosigkeit, die mich von Schmerzen erlöst, wie ich sie nie zuvor gekannt habe; und manchmal, wenn er Dienst und Zeit hat, kommt Jost vorbei an diesen Abenden, die mich nicht schlafen lassen, und erzählt mir von der Brandverletzten-Intensivstation, auf der ich lange gelegen und an die ich nur verschwommene Erinnerungen habe: wie marsmenschenhaft vermummteSchwestern mich ins Bad schafften, um von meinem den Schmerzen und dem Wachzustand entzogenen Körper mit sterilen Bürsten die Brandschrunden abzutragen, dann das Zimmer, ein auf zweiunddreißig Grad aufgeheizter Tresor voller Schläuche und

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