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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Dann versucht er mir was über Investmentstrategien zu erzählen, aber davon hab ich schon immer nur Bahnhof verstanden. Und dann Wiggo hinten, Wiggo vorn. Der Unterton in ihrer Stimme gefiel mir nicht, vielleicht hatte auch sie zuviel getrunken. – Du solltest das Rauchen lassen, Dorothea. – Laß das Schulmeistern, Jost, okay?
    Wiggos Idee, eine Philosophische Praxis zu eröffnen, konnte noch nicht sehr alt sein. Einige Wochen vor diesem Gespräch hatte ich ihn zum ersten Mal auf seiner Arbeitsstelle besucht. Ich erinnere mich gut an den Abend, an das bunkerhafte Institut, eine Feste aus schlammfarbenem Beton mit mehreren hohen Antennen, auf denen rote und grüne Positionslichter blinkten. Ich hatte in der Gegend Besorgungen gehabt; in der Auslage eines Geschäfts für Souvenirs und Schmuck sah ich einige Mineralien, eine Platte mit dem Abdruck eines versteinerten Fischs, und mir war eingefallen, daß das Institut, in dem Wiggo arbeitete, in der Nähe lag. Was genau er dort tat, hatte er mir nie gesagt, nur daß es mit einem Laboratorium zu tun hatte, war mir im Gedächtnis geblieben. Ich betrat das Haus. Viele dieser Institute haben etwas Halboffizielles, man kann selbstabends, wenn die fahlen Sparbeleuchtungen eingeschaltet sind, hineingehen, einen der Fahrstühle rufen und, wenn man ausreichend unbeteiligt und befugt tut, ohne das Wo wollen Sie hin, bitte? des Pförtners passieren. Ich bin zwar in einer Chirurgischen Klinik tätig und habe nicht allzuviel mit den Instituten, in denen sich ja die mehr theoretisch und experimentell ausgerichteten Fächer einer medizinischen Fakultät befinden, zu tun, dennoch war mir der Geruch und überhaupt das Klima des Gebäudes sofort vertraut. Meine Studentenzeit liegt noch nicht so lange zurück, daß die Erinnerungen den Anschluß an die Wirklichkeit verlieren; außerdem habe ich meine Doktorarbeit an einem Institut für Pathologie geschrieben. Diesmal kam ich nicht durch, diesmal fragte mich der Pförtner. Sie sind immer gute Menschenkenner, diese Pförtner der großen Einrichtungen und Institute, der Justizpaläste und, vor allem, der Hotels, wo sie allerdings Portiers heißen, was ihren Kenntnissen zu einer diskreten Note verhelfen und über die Schärfe und Illusionslosigkeit dieser Kenntnisse hinwegtäuschen soll. An Kleinigkeiten mußte der graubekittelte, untersetzte Mann, der mich nach seiner Frage abwartend musterte, erkannt haben, daß ich nicht hierhergehörte; vielleicht an meinen unsicheren Bewegungen, die seinem geschulten Auge verraten hatten, daß solche Orte für mich nicht tägliche Umgebung waren, wie etwa für einen Wissenschaftler aus einem anderen Institut, der zwar auch nicht hierhergehörte, jedoch kein Besucher oder, wie es die Pförtner nennen mögen, kein Unbefugter war. – Ich möchte zu Herrn Ritter. – Haben wir hier nicht, erwiderte der Pförtner sofort, ohne den Blick zu senken, in dem jetzt Mißtrauen aufglomm. Pförtner vermuten sofort das Schlimmste, Pförtner durchschauen die Menschen und ihre niedriggesinnten Umtriebe, und die Pförtner sind es auch, die immer genau wissen, daß in ihrem Reich am Kopierer in der zweiten Etage zwar der Zähler, abersonst nichts defekt ist und Studenten (der Student ist der natürliche Feind des Institutspförtners), die mit ihrem BAFöG nicht zurechtkommen und in neuerer Zeit überhaupt erschreckend unidealistisch denken, sich diesen Umstand auf fakultätsschädigende Weise zunutze machen könnten. – Wiggo Ritter, präzisierte ich. – Moment. Er beugte sich zurück, tippte etwas in seinen Computer ein, verzog die Lippen zu einem Ausdruck widerwilliger Überraschung. Ach der, ja. Laborgehilfe unten im Keller. Deshalb hatte ich ihn nicht gleich. Sind Sie auch sicher, daß er jetzt arbeiten muß? Ich war mir nicht sicher, aber um mir weiteres Geplänkel zu ersparen, sagte ich fest und bestimmt: Ja. – Gehen Sie im Keller nach links, bis Sie an eine Milchglastür mit der Aufschrift Trakt M stoßen. Dort sitzen die Mikrobiologen, und dort müßten Sie auch Herrn Ritter finden. Er verlangte meine Tasche, warf einen kurzen Blick hinein, dann gab er mir eine Marke, die mich als Besucher auswies.
    Laborgehilfe im Keller, dachte ich, als ich mit dem Fahrstuhl nach unten fuhr. Es war ein fensterloses, von knisternden Neonröhren mit dünnem Licht bestreutes Gangsystem, Wasserrohre und Elektroleitungen verliefen unter der Decke, in der Luft hing der süßliche Geruch von Agar-Agar- Nährböden; die Wände

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