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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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einen gewaltigen Fehler begangen hatte,hierherzukommen. Wiggo fluchte weiter. Mich überlief es heiß und kalt, zumal ich spürte, daß er nicht nur gegen diese Professorin, sondern auch gegen mich tobte, dagegen, daß ich ihn hier, in einer für ihn demütigenden Situation, angetroffen hatte, daß ich nun wußte, womit er, der hochintelligente, gebildete, kultivierte Wiggo Ritter, sein tägliches Brot zu verdienen gezwungen war. Gezwungen war? Es erschütterte mich, ihn als Laborgehilfe zu finden, hatte mich schon erschüttert, als der Pförtner mir, halb herablassend, halb süffisant, die Auskunft nach Wiggos Arbeitsplatz gab; nur hatte ich es mir nicht eingestanden. Ich ging schweigend neben ihm her, beschämt und bestürzt, dem Impuls, ihn zu besuchen, aus einer dummen Laune heraus nachgegeben zu haben. In diesem Moment wußte ich, daß er mich dafür hassen würde. Er würde nicht diese Professorin hassen, die ihn so gedemütigt hatte, jedenfalls nicht ausschließlich, sondern mich – weil ich ihn in dieser Situation gesehen hatte. Ich machte mir darüber keine Illusionen, die Menschen, Herr Verteidiger, sind nun einmal so. Sie hassen nicht so sehr den Verursacher ihrer Schmerzen, natürlich den auch, das schon; aber mehr noch, glaube ich, hassen sie denjenigen, der zum freiwilligen oder unfreiwilligen Zeugen, zum Mitwisser ihrer Erniedrigung wird. Was willst du eigentlich hier, rüffelte Wiggo, als wir mit dem Fahrstuhl nach oben glitten. Mal sehen, was Ritter für einer ist? Ob er wirklich soviel draufhat, wie er immer tönt? Ich bin Laborgehilfe, also der hinterletzte Pampel in der Reihe, na und? Was geht’s dich an? Das ist nicht entscheidend. – Ich weiß, unterbrach ich ihn, laß doch diese eingebildete Schnepfe reden, Wiggo, die hat doch keine Ahnung. – Pack, schnaubte Wiggo, arrogantes, überhebliches Pack, die merk ich mir vor, und überhaupt alle solche, das kannst du aber wissen. – Wiggo, was redest du da, was soll das bedeuten? Kümmere dich doch nicht darum, es hat doch garkeine Bedeutung, das trifft doch nicht dich! Er starrte mich an, nickte. Ich konnte sehen, wie er mühsam seine Wut zügelte und sich allmählich wieder in den Griff bekam. Ja, sagte er, du hast recht. Das betrifft nicht mich. Sondern den kleinen, imbezillen Laborgehilfen, der mit mir rein zufällig Aussehen und Namen teilt. Du hast recht. Es hat nichts mit mir zu tun, nicht wirklich. Er lachte kurz und haßerfüllt, dieses hohe, unterdrückte Lachen hallte schauerlich im leeren, halbdunkel liegenden Vestibül, in dem die Pförtnerloge wie ein hell leuchtender Kiosk lag. Wiggo ging, ohne den Pförtner eines Blickes zu würdigen, nach draußen, während ich mir meine Tasche aushändigen ließ und die Besuchermarke durch das aufgeschobene Fensterchen reichte. Ein Grund mehr, all das kaputtzuschlagen, murmelte er, als wir das Gebäude verließen. Der eine kellnert in einer Bar und ist vielleicht ein Picasso, aber niemand weiß es und, vor allem: Niemand glaubt es. Denn es gibt keine Picassos mehr, lieber Jost, nicht wahr? Der andere erfindet etwas, das unsere Welt verändern, sie voranbringen könnte, womöglich verhindert seine Erfindung den nächsten Krieg um Öl, weil sie das Öl überflüssig macht, aber da gibt es Lobbys, die nicht daran interessiert sind, daß das Öl überflüssig wird, und deswegen ist unser Erfinder ein armes Schwein, das von Sozialhilfe lebt, muß betteln gehen zu den hohen Herren und wird von ihnen als größenwahnsinniger Spinner verlacht, wie sie quartalsweise auftreten. Ist es nicht so, Jost? Und ich, der ich das Potential habe, ein Führer zu sein, verrichte eben in einem Mikrobiologen-Labor Hilfsdienste, in dem Automaten auf zwei Beinen Kokken und Hefepilze züchten, warum nicht? Du denkst, ich sei übergeschnappt? Kann schon sein. Kann aber auch nicht sein. Er musterte mich mit einem wilden Blick, in dem Haß, verletzte Eitelkeit und auch, ich scheue mich, das Wort niederzuschreiben, Verrücktheit in einer Mischungflackerten, die mich zusammenzucken ließ. Ich wußte nicht, was ich von seiner Rede halten sollte. Sie schien mir gar nicht mehr direkt mit dem Vorkommnis an der Labortür und meiner Anwesenheit zusammenzuhängen. Lang Angestautes kam hier herauf, und ich hörte es mit Entsetzen. Nie wird sich am Ablauf der Dinge etwas ändern, wenn man nichts tut, wenn man den gordischen Knoten nicht zerschlägt! zischte Wiggo. Er ahnte wohl, daß er zu weit gegangen war, mochte mir ansehen, daß

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