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Der Elbenschlaechter

Der Elbenschlaechter

Titel: Der Elbenschlaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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einen Wolf.« Als Hippolit sich mit einer Antwort Zeit ließ, fügte er hinzu: »Es gibt da ein altes Trollsprichwort, das lautet: Allmählich fängt mein Magen an zu knurren.« Wie zur Bestätigung ertönte aus Richtung seiner Leibesmitte ein dumpfes Geräusch. Es klang, als erwache ein ziemlich großes, ziemlich gefräßiges Raubtier mit einem unwilligen Grollen aus tiefem Schlaf.
    Hippolit beugte seinen Oberkörper nach rechts und wich dem heranschwingenden Pendel aus, während er mit den Fingerspitzen vier senkrechte Striche quer über Jorges von borstigen Haarstoppeln übersäte Stirn vollführte. Auch wenn er nicht sofort antwortete – darüber, dass die revalisierenden Maßnahmen noch immer keine Wirkung zeigten, war er selbst noch erheblich unzufriedener als sein Medium.
    Wenngleich Hippolit noch nie zuvor einen Troll revalisiert hatte, war er nicht davon ausgegangen, dass es dabei zu Komplikationen kommen würde. Entscheidend war, dass sich das Subjekt einschläfern lassen wollte, und da dies bei Jorge der Fall war, hatte Hippolit nicht damit gerechnet, dass der Vorgang länger als ein paar Minuten in Anspruch nehmen würde. Zuversichtlich hatte er das Pendel in Bewegung versetzt und mit dem komplizierten Muster aus senkrechten und waagerechten Strichen auf Jorges Gesicht begonnen, die Meister Reval Jahrhunderte zuvor ausgeknobelt hatte.
    Jetzt, eine halbe Stunde später, waren sie noch immer keinen Schritt weiter.
    »Ich verstehe das nicht«, stieß Hippolit zwischen zwei Absätzen seiner monotonen Litanei hervor und wich erneut dem Pendel aus. »Eigentlich solltest du längst auf der anderen Seite sein.«
    »Tja, Blaak!« Jorge zuckte im Liegen mit den Schultern. »Vielleicht ist mein Wille ja zu stark, um sich revalisieren zu lassen? Du weißt, ich gelte nicht zu Unrecht als Troll von charakterlicher Stärke und ausgeprägtem Chans …«
    »Entspannst du dich auch, wie ich es dir gesagt habe?«
    »Ich bin entspannt wie ein Krügerschwein nach dem Koitus!«
    »Hast du deinen Blick auf die untere Spitze des Pendels fixiert?«
    »Auf das Pendel? Nee, ich beobachte die ganze Zeit dein verkniffenes Gesicht. Scheint echt anstrengend zu sein, einem gut gewachsenen Troll im Gesicht rumzufummeln? Wusstest du übrigens, dass an deiner linken Schläfe ständig so eine …«
    »Ich hatte ausdrücklich gesagt, du sollst die Spitze des Pendels nicht aus den Augen lassen!«
    »Schon gut, keine Panik!« Jorge schob schmollend die Unterlippe vor. »Kann ja nicht ahnen, dass du es nicht magst, wenn man dir bei der Arbeit zusieht.« Bedeutend leiser fügte er hinzu: »Du bist bestimmt auch so einer, der das Licht löscht, wenn er sich mit einer schönen Frau ins Schlafzimmer begibt …«
    Doch Hippolit hatte bereits eine neue unverständliche Formelzeile begonnen, führte eine Reihe energischer senkrechter Striche über Jorges Schläfen aus.
    Dieser richtete seinen Blick pflichtschuldig auf das träge schwingende Pendel, fokussierte die kegelförmige, exakt ausbalancierte Spitze, die am Tiefpunkt ihrer Bahn kaum eine Handbreit über seiner Nasenspitze dahinglitt.
    Glitzernd brach sich das Licht der auf schwächster Stufe leuchtenden Glutglobuli auf dem polierten Silber …
    Zufrieden beobachtete Hippolit, wie Jorges Lider zu flattern begannen. Wenige Augenblicke später fielen sie zu, der Atem des Trolls wurde langsamer, röchelnder.
    Hippolit fuhr noch ein paar Minuten mit den Beschwörungsformeln fort, dann setzte er die beiden abschließenden waagerechten Striche oberhalb der Nasenwurzel und trat zurück.
    Jorges Haut, üblicherweise von einem schmutzigen Braun (sofern sie nicht als Folge einer Rasur aller sichtbaren Partien gerade knallrot war), wirkte blassgrau und schlaff. Als Hippolit nach seinem Handgelenk griff, um den Puls zu überprüfen, stellte er fest, dass es sich eiskalt anfühlte. Es dauerte schier endlos, bis er einen Herzschlag erfühlen konnte, flach und unnatürlich verlangsamt, aber regelmäßig.
    Kein Zweifel: Jorge war in revalische Trance übergetreten.
    Hippolit hielt das Pendel an und versuchte, das Stativ über dem Altar zu entfernen. Doch die schweren Stahlstangen entglitten seinen schwächlichen Knabenfingern, und mit ohrenbetäubendem Getöse polterten Dreibein und Pendel auf den mosaikgefliesten Boden.
    Jorge zuckte nicht einmal mit einer Wimper.
    Ein letztes Mal überprüfte Hippolit die Position des Elbenkadavers auf dem benachbarten Steinblock, dann zog er sich eine umgedrehte Holzkiste

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