Der Elbenschlaechter
jahrzehntelanger, aufopferungsvoller Arbeit im Dienste der Gerechtigkeit erarbeitet hatte – und den ihm, dem vierzehnjährigen Albino, jetzt selbstredend niemand mehr entgegenbrachte! Dass Erwachsene ihn auf der Straße nicht mehr grüßten, war eine Sache; dass sie ihm keinen Platz mehr machten, wenn er des Weges kam, eine andere. Auch die zuweilen mit schmerzhaften Züchtigungen verbundenen Hänseleien der Straßenkinder, für deren Hohn und Spott sein exotisches Aussehen eine gar zu lohnende Zielscheibe darstellte, erschwerten die Gewöhnung an den neuen Zustand; als hochrangiger Beamter des IAIT, der mit einflussreichen Adeligen getrunken und mit höchsten Ministern geraucht hatte, erschien es ihm auf eine gewisse Weise unadäquat, auf offener Straße mit Steinen beworfen oder mit dem Gesicht in den Pferdemist im Rinnstein gedrückt zu werden.
Nicht einmal an den Vorzügen eines jugendlichen, erstmals seit Dekaden wieder komplett funktionstüchtigen Körpers konnte er sich erfreuen. Die landesweiten Prostitutionsgesetze untersagten den Huren Nophelets unter Androhung rigider Strafen, ihre Dienste an Minderjährige zu veräußern. Und da er nachvollziehbarerweise wenig Interesse daran hatte, mit Mädchen »seiner« Altersstufe auch nur zu kommunizieren (was aufgrund der wortreichen Schmähungen, mit denen sie ihn bei seinem Anblick sofort belegten, ohnehin schwierig gewesen wäre), blieb die körperliche Lust ein Kapitel, das in seinem täglichen Leben nicht vorkam.
So war es wenig verwunderlich, dass Meister Hippolit in der Folge mehr als einmal daran dachte, die Auswirkungen des missglückten Rituals durch thaumaturgische Mittel zu beseitigen. Zu seinem Pech waren Techniken, die sich mit der Beschleunigung des natürlichen Alterungsprozesses befassten, wissenschaftlich kaum erforscht. Nach reichlicher Abwägung kam er zu dem Schluss, dass das Risiko, ungeachtet allen Ungemachs, das sein gegenwärtiger Zustand mit sich brachte, einfach zu hoch war. Nicht auszudenken, wenn die ausführenden Heiler bei einer derartigen Behandlung erneut übers Ziel hinausschossen – diesmal in entgegengesetzter Richtung!
Meister Hippolit begriff, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich in sein Schicksal zu fügen. Um sich von den andauernden Erniedrigungen durch seine Umwelt abzulenken, nahm er seine Arbeit für das IAIT wieder auf.
Doch auch hier musste er feststellen, dass sich die Ermittlungsarbeit für einen minderjährigen Knaben alles andere als einfach gestaltete: Droschkenfahrer ließen ihn am Straßenrand stehen, Augenzeugen weigerten sich, mit ihm über ihre Beobachtungen zu reden, und mehr als einmal wurde er von der Stadtwache aufgegriffen, sobald er einen Verdächtigen nach Foggats Pfuhl, Schmieden oder an ähnlich fragwürdige Orte Nophelets verfolgte. Schweren Herzens sah er ein, dass ein Assistent vonnöten war, der seinen Wünschen und Anordnungen in Situationen des täglichen Lebens Nachdruck verleihen konnte. Und glücklicherweise hatte Geheimrat K., den er bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit darauf ansprach, einen spontanen Einfall, welcher Beamte aus den Reihen des IAIT für eine derartige Aufgabe infrage kam …
Hippolit öffnete die Augen und starrte den Rücken des dicken Mannes auf der anderen Seite des Verkaufstresens an. Er wünschte, er hätte früher vom Tod des alten Anecdotian erfahren. Denn in diesem Fall wäre er nicht allein in den Spezialbedarfsladen gekommen; ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass sich der unzugängliche Sohn des ehemaligen Inhabers dann weitaus kooperativer gezeigt hätte.
Sein Blick fiel auf seine kreidebleichen, makellos glatten Hände. Am Mittelfinger seiner Rechten prangte ein massiver silberner Siegelring, ungewöhnlich klobig für eine schmale Kinderhand. In die runde Oberfläche waren vier Buchstaben graviert, Runen aus dem Alphabet der Noocal, der ältesten bekannten Rasse Lorgonias. Sie standen für IAIT; der Ring war gleichermaßen Erkennungszeichen und Ausweis all jener Beamten, die für die höchste Ermittlungsbehörde Sdooms arbeiteten.
Hippolit beschloss, einen letzten Versuch zu unternehmen.
»Wissen Sie, was das ist, guter Mann?«, sprach er und hob die Hand mit dem Schmuckstück.
»Wie? Du bist ja immer noch da!« Der Ladenbesitzer knurrte unwillig und warf einen desinteressierten Blick über die Schulter. »Ein Ring, was sonst? Billiger Tand, den du bei einem fliegenden Händler auf dem Wochenmarkt für einen oder zwei
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