Der Elefant verschwindet
Kraft, sich zu konzentrieren. Ein Leben ohne die Kraft zur Konzentration ist, als ob man die Augen öffnete, ohne zu sehen.
Schließlich ging der Cognac zu Ende. Ich hatte fast die ganze Flasche getrunken. Ich ging ins Kaufhaus und kaufte eine neue Flasche Rémy Martin. Bei der Gelegenheit kaufte ich auch gleich eine Flasche Rotwein. Dazu ein paar edle kristallene Cognacgläser. Und Schokolade und Kekse.
Manchmal wurde ich beim Lesen ganz aufgeregt. Dann legte ich das Buch beiseite und bewegte mich ein bisschen. Ich machte Gelenkigkeitsübungen oder lief einfach ein bisschen im Zimmer herum. Wenn ich Lust hatte, machte ich eine nächtliche Spazierfahrt. Ich zog mir etwas anderes an, holte den City aus der Garage und fuhr ohne bestimmtes Ziel in der Gegend herum. Manchmal fuhr ich auch zu einem der Kettenrestaurants, die die ganze Nacht über geöffnet hatten, und trank einen Kaffee, doch da ich es als Anstrengung empfand, anderen Leuten zu begegnen, blieb ich meist die ganze Zeit im Auto. Ich parkte mein Auto an einem ungefährlich aussehenden Platz und hing meinen Gedanken nach. Manchmal fuhr ich zum Hafen und schaute ein bisschen den Schiffen zu.
Nur einmal kam ein Polizist und stellte mir routinemäßig Fragen. Das war nachts um halb drei. Ich hatte mein Auto in der Nähe des Hafenkais unter einer Straßenlaterne geparkt und hörte Radiomusik, während ich den Lichtern der Schiffe nachsah. Der Polizist klopfte an mein Fenster. Ich kurbelte es runter. Es war ein junger Polizist. Er sah gut aus und war sehr höflich. Ich erklärte ihm, dass ich nicht schlafen könne. Er fragte mich nach meinem Führerschein, und ich gab ihn ihm. Er studierte ihn eine Weile. »Letzten Monat wurde hier jemand ermordet«, sagte er. Ein Pärchen sei von drei Jugendlichen überfallen worden, der Mann sei ermordet und die Frau vergewaltigt worden. Ich erinnerte mich, davon gehört zu haben. Ich nickte. »Wenn Sie hier nichts zu tun haben, sollten Sie sich besser nicht nachts um diese Uhrzeit hier herumtreiben«, sagte er. Ich bedankte mich und sagte, dass ich heimfahren würde. Er gab mir meinen Führerschein zurück. Ich fuhr ab.
Aber das war das einzige Mal, dass ich von jemandem angesprochen wurde. Sonst fuhr ich ein oder zwei Stunden durch die nächtlichen Straßen, ohne von irgendjemandem gestört zu werden. Dann stellte ich das Auto zurück in die Garage unseres Apartmenthauses. Neben den weißen Bluebird meines Mannes, der im Dunkeln friedlich schlief. Ich lauschte dem Ticken des sich abkühlenden Motors. Wenn das Geräusch verebbte, stieg ich aus dem Auto und ging nach oben.
Zurück in der Wohnung, ging ich zuerst ins Schlafzimmer, um mich zu vergewissern, dass mein Mann auch wirklich schlief. Er schlief immer. Dann ging ich in das Zimmer meines Sohnes. Auch er schlief tief und fest. Sie wissen nichts. Für sie bewegt sich die Welt wie bisher, ohne jede Veränderung. Aber sie irren sich. Die Welt verändert sich an Stellen, von denen sie nichts ahnen. Und zwar unwiederbringlich.
Eines Nachts betrachtete ich lange das Gesicht meines schlafenden Mannes. Ich hatte ein Plumpsen im Schlafzimmer gehört, und als ich hineilte, lag der Wecker auf dem Boden. Wahrscheinlich hatte mein Mann im Schlaf seinen Arm bewegt und ihn dabei umgeworfen. Doch er schlief tief und fest, als sei nichts passiert. Was musste geschehen, damit dieser Mensch aufwachte? Ich hob den Wecker auf und stellte ihn ans Kopfende des Bettes.
Dann verschränkte ich die Arme und starrte auf das Gesicht meines Mannes. Es war schon sehr lange her, seit ich das letzte Mal das schlafende Gesicht meines Mannes so aufmerksam betrachtet hatte. Wie viele Jahre mochten es sein?
Am Anfang unserer Ehe hatte ich das oft getan. Ich brauchte ihn nur anzusehen, dann wurde ich selbst ganz ruhig und friedlich. Solange er so friedlich schläft, wird mir nichts passieren, dachte ich. Es kam daher früher häufig vor, dass ich, wenn mein Mann eingeschlafen war, sein Gesicht betrachtete.
Aber irgendwann hatte ich damit aufgehört. Wann war das gewesen? Ich versuchte mich zu erinnern. Vielleicht seit es damals zwischen seiner Mutter und mir zum Zank um den Namen unseres Sohnes gekommen war. Seine Mutter gehörte einer Art religiösen Sekte an und hatte dort einen Namen für unseren Sohn »empfangen«. Ich habe vergessen, was das für ein Name war, aber auf jeden Fall hatte ich damals nicht die Absicht, einen Namen für mein Baby zu »empfangen«. Ich geriet mit meiner Schwiegermutter
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