Der Elefanten-Tempel
Fußgelenken, inmitten der Schaulustigen, die sie neugierig betrachteten. Ihre Beine fühlten sich so zittrig an, dass sie sich am liebsten sofort hingesetzt hätte. Auch ihr Hintern tat weh von dem schnellen Ritt.
Von ihrer hohen Warte auf dem Elefantenrücken aus hatte sie alles überblicken können, doch jetzt wares schwerer, im Halbdunkel zu verfolgen, was geschah. Ricardas ganzer Körper war verkrampft vor Angst. Angst um Laona … aber auch um Nuan. Hoffentlich ging die wilde Jagd gut aus, ohne dass er verletzt wurde. Und hoffentlich merkten die Polizisten nicht, wen sie da vor sich hatten, sonst endete die Nacht für Nuan im Gefängnis.
Eine tiefe Furcht vor dem Schicksal packte sie. Warum nur hatte sie ihrer Legende ein so trauriges Ende gegeben? Wieso hatte sie das Schicksal herausgefordert? Sofia hatte sie gewarnt und sie hatte es trotzdem getan! Aber noch viel schlimmer war, dass sie aus Laonas Wanderungen ein Geheimnis gemacht hatte. Wie hatte sie nur so dumm sein können, Ruang zu verschweigen, was die Elefantin nachts tat? Sie hatte genau gewusst, dass ein frei in der Öffentlichkeit herumspazierender Elefant gefährlich werden konnte! Ruang hätte verhindern können, dass die Elefantin aus dem Refuge hinausgelangte. Was auch immer jetzt geschah, es war auch ihre Schuld.
Inzwischen befanden sich Devi und Laona auf gleicher Höhe und Laona war langsamer geworden. Geschickt drängte Nuan sie ab, sodass sie im Kreis laufen musste. Auf diese Art kam sie nicht noch weiter in die Stadt hinein. Und das war auch gut so, denn wenn sie zu den berühmten bunten Pferdekutschen Lampangs gelangte – falls die um diese Uhrzeit noch auf der Straße waren –, dann gingen auch die Kutschpferde todsicher durch und dann war das Chaos perfekt.
Aus der Entfernung hatte Ricarda den Eindruck, dass Laona etwas ruhiger wurde, dass es ihr guttat, eine andere Elefantin an ihrer Seite zu haben. Wahrscheinlich gab es ihr ein Gefühl der Sicherheit, nicht allein zu sein. Laona kannte Devi, sie kannte Nuan. Das war jetzt unschätzbar wertvoll. Vielleicht ließ sie sich dazu bewegen, sich der erfahrenen Elefantin anzuschließen, und folgte ihr freiwillig zurück ins Refuge. Wenn nicht … zur Ausrüstung auf Devis Rücken gehörten auch ein paar starke Seile. Ricarda hatte bei Khanoms Amoklauf selbst gesehen, wie geschickt Nuan darin war, einen sich sträubenden Elefanten einzufangen.
Doch dann drehte Laona ab und geriet auf den Bürgersteig, drängte ihren massigen Körper zwischen Laternenmasten, Pfosten und Werbeschildern durch. Ausgerechnet dort, wo einige der unzähligen T-Shirt-Läden ihre Ware anboten, wo man die Eingänge der Läden vor lauter baumelnden Tops und vollgepackten Kleiderständern kaum noch sah. Mit dem Kopf voller bunter Hemden, die sie verzweifelt abzuschütteln versuchte, kam Laona wieder zum Vorschein … und klemmte sich beim Versuch, auf die Straße zurückzugelangen, auch noch zwischen zwei Pfosten ein. Prompt geriet sie wieder in Panik. Mit einem schrillen Trompeten und weit ausgebreiteten Ohren rannte sie zum zweiten Mal los, warf ein abgestelltes Motorrad um und trampelte darüber hinweg. Schreiend und mit den Armen fuchtelnd versuchte ein Mann,wahrscheinlich der Besitzer der Maschine, Laona wegzuscheuchen. Doch das war der Elefantin anscheinend zu viel.
Sie wandte sich den Schaulustigen zu, schwang ihren Kopf hin und her und stampfte mit dem Vorderfuß, als wolle sie den Boden aufscharren. Eine klare Drohung – für den, der sie verstand und klug genug war, sie zu beachten.
Nirwana
Nuan sah Laonas Drohung, rief ihr einen scharfen Befehl zu und versuchte sofort Devi zwischen die gereizte Elefantin und die Menschen zu manövrieren.
Inzwischen waren überall Polizisten. Und einer davon hob sein Gewehr, zielte auf Laona. Ein Schuss peitschte auf, unglaublich laut und scharf. Der Lärm der Menge wurde von einer Sekunde zur anderen zu erschrockenem Schweigen.
Ein eisiges Gefühl durchrieselte Ricarda. Sie suchte Laonas Körper mit den Augen ab, hielt Ausschau nach einer Wunde … und fand keine. Es war Devi, die zitternd zum Stillstand gekommen war, der Blut über die Brust lief.
»Devi«, flüsterte Ricarda und Tränen drängten in ihre Augen. »O nein …«
Sie rannte los, drängte sich durch die Menge, um näher an die Elefanten heranzukommen. Bemerkte aus dem Augenwinkel den Geländewagen des Elephant Refuge, Ruang und Kaeo, die heraussprangen. Hilfe war da, jetzt hätte alles gut sein
Weitere Kostenlose Bücher