Der Elefanten-Tempel
Silhouette im Gegenlicht. Alarmiert wölbte Laona den Rüssel hoch, breitete die Ohren aus. Mit jaulenden Bremsen kam das Auto eine Menschenlänge von ihr zum Stehen, das Geblöke einer Hupe dröhnte durch die Nacht.
Ricardas Herz trommelte wie wild. Hatte der Typ denn keinen Funken von Verstand? Laona konnte sein Auto zu einem Blechklumpen zerquetschen, wenn ihr danach war. Khanom hätte damit keine Sekunde gezögert.
Doch Laona reagierte anders. Sie trompetete schrill und quiekend. Mit wild flappenden Ohren und weit aufgerissenen Augen, in denen man das Weiße sah, drehte sie um und ergriff die Flucht. Ricarda spürte den Boden vibrieren, als das gewaltige Tier davonstürmte.
Nicht zum Refuge hin, sondern in Richtung Lampang.
Wilde Jagd
»Schnell! Vielleicht können wir sie noch abfangen!«, rief Nuan, und Ricarda hastete hinter ihm her durch die Dunkelheit. Da war schon Devi, beladen mit Nuans ganzem Gepäck. Nervös verlagerte sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen – sie hatte den Aufruhr natürlich mitbekommen, es war erstaunlich, dass sie nicht gleich mit durchgegangen war.
Nuan sagte einen kurzen Befehl und Devi hob das Vorderbein, damit ihr Mahout aufsteigen konnte. Flink hangelte Nuan sich nach oben und setzte sich hinter ihren Kopf. Ricarda war so nervös, dass sie erst gar nicht hochkam. Sie stellte sich so ungeschickt an, als habe sie noch nie auf einem Elefanten gesessen – unglaublich, wie riesig Devi war und wie unendlich hoch es zu einem Platz auf ihrem Rücken schien. Auf ein Pferd zu kommen, ohne Steigbügel? Pah, eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem hier. Vielleicht konnte sie von der Seite der Treppe aus aufsteigen, da kam sie bestimmt leichter hoch …
»Zieh die Schuhe aus, und dann halt dich an Devis Ohr fest!«, brüllte Nuan. Hastig fummelte Ricarda die Laschen auf und riss sich den Schuh vom Fuß, aber wohin jetzt mit dem Ding? Doch Nuan hatte mitgedacht, ein kurzes Kommando und Devi packte den Schuh mit dem Rüssel, hob ihn über ihren Kopf hinweg und reichte ihn Nuan. Der zweite folgte einpaar Sekunden später. Barfuß ging es tatsächlich besser, und außerdem schob Devi sie mit dem Rüssel von hinten an, was ein klein bisschen entwürdigend, aber auch sehr hilfreich war.
Auf Devis Rücken war nicht mehr viel Platz, weil Nuan dort die Säcke mit Futter und Ausrüstung befestigt hatte, doch Ricarda fand ein freies Eckchen hinter ihm, auf dem sie zwar nicht gerade bequem saß, sich aber halbwegs sicher fühlte. Immerhin, an den dicken Seilen, mit dem das Gepäck festgebunden war, konnte sie sich gut festhalten. Und das war auch nötig, denn jetzt stürmte Devi los, mit einem Tempo, bei dem Ricarda schwindelig wurde. Verzweifelt klammerte sie sich fest, denn hier oben fühlte es sich ein bisschen an wie auf einem schwankenden Schiff. Bloß nicht runterfallen! Der Boden war schrecklich weit entfernt.
Sie überlegte, ob sie die Arme um Nuan schlingen sollte, so wie man sich auf einem Motorrad am Fahrer festhielt, aber nein, sie hatte so was bei einem Elefantenritt noch nie gesehen und wollte auch nicht riskieren, dass es Nuan ablenkte. Er feuerte Devi mit lautem » Pai! Pai! « an und spähte voraus, um Laona im Blick zu behalten. Ricarda tat es ihm gleich, versuchte Laona in der Dunkelheit zu erkennen. Die Scheinwerfer eines Autos halfen dabei, beleuchteten ihre graue Rückseite, die beunruhigend weit entfernt war. Die Elefantin hatte einfach zu viel Vorsprung.
»Meinst du, wir schaffen es noch, sie einzuholen?«,keuchte Ricarda. Beinahe wäre ihr ein niedrig über der Straße hängender Ast ins Gesicht gepeitscht, sie konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken.
»Ich hoffe es – aber sie hat längere Beine als Devi«, gab Nuan zurück. »Und je näher wir der Stadt kommen, desto schwieriger wird es.«
Er hatte recht. Zwei weitere Autofahrer mussten Laona umkurven, die Elefantin wich erschrocken aus und lief noch schneller. Trotzdem blieb sie auf der Straße, bog nicht in den Wald ab; warum, das wusste nur sie selbst. Wenigstens hielt der Fahrer, der ihnen all das eingebrockt hatte, jetzt respektvollen Abstand und fuhr langsam hinter ihr her. Doch Nuan schien nicht viel davon zu halten, er knurrte: »Er scheucht sie weiter, der Idiot« und schrie dem Fahrer etwas in Thai zu. Jetzt endlich fuhr der Mann an den Straßenrand und ließ Devi vorbei.
Ricarda hatte keine Ahnung, welche Entfernung Laona schon zurückgelegt hatte. Einige Kilometer wahrscheinlich. Allmählich
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