Der Elefanten-Tempel
begann sich die Landschaft zu verändern, der Wald wurde lichter, Häuser tauchten dazwischen auf, eingezäunte Grundstücke, bunte Werbeschilder, sogar Straßenlaternen gab es jetzt. Staunend beobachteten ein paar Jugendliche, die ihre Mopeds am Straßenrand geparkt hatten, die vorbeidonnernden grauen Riesen.
Nuan wandte sich halb zu Ricarda um. »Sie läuft mitten in die Stadt«, sagte er grimmig.
Ein Straßenschild verkündete, dass sie in Lampangangekommen waren. Und noch immer floh Laona. Sie rannte durch einen kleinen Park mit kurzem Rasen und riesigen Bäumen mit stelzenartigen Wurzeln. Ungläubig blickten die Leute, die dort ein wenig gefeiert hatten, ihnen entgegen, dann flohen sie nach allen Seiten und ließen ein paar Flaschen und Plastikbeutel zurück. Laona achtete nicht darauf. Eine Parkbank war ihr im Weg, sie scheute kurz, ihre massigen Vorderbeine trafen die Bank, dann kletterte die Elefantin ungeschickt darüber. Von der Bank blieb nicht viel übrig, nur ein paar einzelne Bretter und eine Menge Splitter.
Doch das Ganze hatte auch sein Gutes, durch die kurze Verzögerung war es Devi beinahe gelungen, Laona einzuholen. Ricarda konzentrierte sich darauf, sich festzuhalten, auch als einer ihrer Schuhe davonsegelte und verschwand, wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen. Egal! Hauptsache, Laona verletzte niemanden, hoffentlich, hoffentlich ging alles gut aus! Täuschte sie sich oder wurde die Elefantin schon ein wenig langsamer? Musste sie nicht allmählich erschöpft sein?
Laona überquerte eine Straße, wich einem Mann aus, der sie mit wedelnden Armen von einer blumengeschmückten Statue fernzuhalten versuchte, und donnerte voll in eine der Garküchen, die selbst jetzt um Mitternacht noch geöffnet hatte. Der Kochwagen fiel um, gebratenes Gemüse kippte auf die Straße und Plastikflaschen rollten durch die Gegend. Eine kreischende Frau brachte sich gerade noch rechtzeitig vordem Koloss, der ihre Küche ruiniert hatte, in Sicherheit. Panisch strampelte sich Laona aus den Resten der Garküche frei und schleuderte mit einem schrillen Trompeten einen – wahrscheinlich glühend heißen – Wok von sich. Er landete auf einem Tuk-Tuk , dessen Fahrer vor Schreck Schlangenlinien fuhr. Die Fahrt endete an einem Verkehrsschild.
Einige Schaulustige fanden sich im kühlen Licht der Straßenlaternen ein – dass hier ein Elefant außer Rand und Band war, hatte sich anscheinend schnell wie der Wind in Lampang herumgesprochen. Ricarda fragte sich, warum die Leute alle hierherkamen. Wieso flohen die Idioten nicht lieber? Wollten sie unbedingt niedergetrampelt werden? Verbissen manövrierte Nuan Devi zwischen den Menschengrüppchen hindurch, versuchte näher an Laona heranzukommen.
Ricarda hielt die Luft an. Dort vorne hatte sie die weiß-braunen Polizeiautos entdeckt, die sie schon bei der Durchsuchung des Refuge gesehen hatte. Uniformierte Beamte stiegen heraus und rannten auf Laona zu. Ricarda traute ihren Augen nicht, als sie sah, dass ein paar von ihnen Handfeuerwaffen gezückt hatten. Mit einem Megafon gab einer der Männer in Thai Anweisungen, und die Menschen hielten wieder etwas mehr Abstand.
»Die Polizei!«, krächzte Ricarda. »Bewaffnet!«
»Ich hab sie gesehen. Verdammt, der eine hat sogar ein Gewehr.«
Mit ein paar Sekunden Verspätung begriff Ricarda,was er meinte. Wahrscheinlich konnte eine Handfeuerwaffe einen Elefanten nicht wirklich verletzen, aber ein Jagdgewehr war eine ganz andere Sache. Die Polizisten hatten vor, Laona zu erschießen, ehe sie noch mehr Unheil anrichten konnte. Nein, nein, das durfte nicht sein! Sie würde sich bestimmt bald wieder beruhigen! Sie war doch nur verängstigt, nicht bösartig!
Nuan brüllte den Beamten etwas zu, Ricarda konnte sich denken, was. Er beschwor sie, es nicht zu tun. Versicherte ihnen, dass er es schaffen würde, Laona einzufangen oder zurückzudrängen in Richtung des Refuge. Skeptische Blicke der Polizisten, doch sie senkten das Gewehr einen Moment lang. Hastig drehte Nuan sich zu ihr um. »Du musst absteigen. Jetzt geht es ganz nah an Laona ran. Könnte gefährlich werden. Bitte steig ab!«
Atemlos nickte Ricarda. Devi hielt kurz an, und Ricarda löste die verkrampften Hände aus den Seilen auf ihrem Rücken, ließ sich die riesige Schulter der Elefantin hinuntergleiten und landete hart auf dem Boden. Schon setzte sich Devi wieder in Bewegung, stampfte wie ein lebender Berg an ihr vorbei, und Ricarda blieb allein zurück, mit schmerzenden
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