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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Ricarda waren übrig. Schweigend, noch immer. Gemeinsam hielten sie Totenwache. Es war das Einzige, das Ricarda jetzt für Nuan tun konnte. Einfach bei ihm zu sein. Seine Trauer, sein Schweigen zu respektieren und es zu teilen.
    Lampang versank in Schlaf. Nur noch wenige Fußgänger schlenderten durch den Park, hin und wieder surrte ein einzelnes Moped durch die Straßen. Ab und zu bewegte eine Windböe die Zweige der Bäume, brachte sie zum Rauschen.
    Devis riesiger Körper war grau und unbeweglich wie eine Steinskulptur. Das Blut trocknete langsam, sickerte in den Boden. Ein paar Fliegen umkreisten den Körper, setzten sich an den Rand der Blutlache. Ricarda ertrug es ohne eine Regung, wenn sie auf ihr landeten, als einen kleinen Teil ihrer Buße. Ihre Beine fühlten sich völlig taub an, und schließlich musste sie sich anders hinsetzen, damit sie prickelnd wieder erwachten. Aus dem Boden, aus dem Gras stieg schon die Nachtfeuchte auf und Ricarda fröstelte. Ein paarmal wären ihre Augenlider fast gegen ihren Willen heruntergesackt, doch sie zwang sich wach zu bleiben.
    Es überraschte sie völlig, dass Nuan doch noch zu sprechen begann. »Sie war immer da. Als ich ein Kind war, hat sie manchmal auf mich aufgepasst. Nok, meine ältere Schwester, wusste, dass mir nichts passieren würde, solange Devi über mich wachte. Sogar Ameisen hat Devi von mir runtergepustet. Undeinmal hat sie mich aus einem Teich gefischt, aus dem ich selbst nicht mehr rauskam, weil ich im Schlamm feststeckte.«
    Er sprach, ohne sie anzublicken. Doch Ricarda wusste, dass es wichtig war, ihm jetzt zuzuhören. Und so nickte sie einfach, ohne ihn zu unterbrechen.
    »Als meine kleine Schwester Yui gestorben ist, da war Devi genauso traurig wie wir. Tagelang hat sie nichts gefressen, nicht mal Mangos und die hat sie geliebt.«
    Ricarda lauschte erschrocken. Sie hätte gerne etwas gesagt, gefragt, wie lange das her war und woran Yui gestorben war, doch schon sprach Nuan weiter.
    »Devi war so schön und gutmütig, dass wir ständig Angebote bekamen, sie zu verkaufen. Obwohl sie zu Nagelentzündungen neigt … neigte. Beim Round-up in Surin war sie immer dabei, meistens bei der Parade und beim Schaukampf. Als ich alt genug war, durfte ich sie beim Festival reiten – mein Kostüm war in Gelb-Rot-Gold, mit einem Stirnband, ich habe es sogar mitgenommen auf die Flucht, komisch, was?«
    »Gar nicht so komisch«, flüsterte Ricarda.
    »Dann die Zeit in den USA … ich habe Devi so vermisst. Aber Johnny Callahan, das war der Chef der Tiertrainer, hat gesagt, vielleicht könnte ich sie für die Arbeit beim Film ausbilden. Sie hatte Spaß an solchen Sachen, sie hat hier in Thailand sogar mal in einem Werbespot mitgespielt, damit konnten wir ein halbes Jahr lang ihr Futter bezahlen. Das war mein Traum –wir hätten zusammenbleiben können und etwas verdient.«
    »Callahan … hat er dir die Bücher geschenkt? Das »Dschungelbuch« , » Peter Pan« und die anderen?«
    »Ja. Sie haben früher ihm gehört. Johnny hat mir eine Menge beigebracht und mich überallhin mitgenommen, er war immer sehr freundlich zu mir.« Einen Moment lang wirkte Nuans Gesicht nicht mehr ganz so versteinert, ein andächtiger Glanz trat in seine Augen. »Zum Abschied hat er gesagt, ich könne mich immer bei ihm melden, wenn ich eine Frage oder ein Problem hätte. Nach meiner Flucht mit Devi habe ich versucht ihn anzurufen … aber es war komisch, ich habe ihn nie erreicht.« Er zögerte. »Als ich ihn endlich am Telefon hatte, sagte er, er würde versuchen mir zu helfen, dann habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
    Ricarda sandte einen stillen Fluch in die Richtung von Johnny Callahan. »Er hat es wohl nicht ganz so gemeint, wie er es gesagt hat.«
    »Nicht Johnny, nein, das glaube ich nicht. Er hatte sicher nur keine Zeit.«
    Kommt aufs Gleiche raus, fand Ricarda. Wie beruhigend, dass nicht nur sie manchmal naiv war, sondern auch Nuan. Sie dachte mit einem warmen Gefühl im Inneren an Sofia. Die sich Zeit genommen hatte, als Ricarda sie wirklich gebraucht hatte. Die sich mitten in der Nacht für sie aufs Motorrad geschwungen hatte. Und die vielleicht noch gar nicht wusste, was geschehen war …
    »Weißt du, ich wollte immer nur Mahout werden, etwas anderes kam gar nicht infrage. Mahout , so wie mein Vater. Aber was mein Vater gemacht hat, nein, ich hätte Devi nie im Stich gelassen, nie.« Nuan beugte sich wieder über die tote Elefantin, seine Hand lag auf ihrer Stirn. Ricarda

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