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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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sah, dass er den Tränen näher war als je zuvor.
    »Du hast sie nicht im Stich gelassen«, sagte Ricarda leise. »Und sie hat gewusst, dass du es nicht tun würdest.«
    Schweigend nickte er, schloss kurz die Augen. »Einmal sind wir – mein Vater, ich und Devi – nach Bangkok gegangen, um dort Geld zu verdienen. Aber es war schrecklich. Devi hasste den Lärm und den Abgasgestank und den heißen Asphalt. Mir ging es genauso. Ich habe meinen Vater überredet, das mit der Stadt sein zu lassen.« Er öffnete die Augen, lächelte kurz. »Manchmal, wenn es mal wieder nichts zu tun gab für sie, bin ich tagelang mit ihr durch den Dschungel gewandert. Ich bin ihr einfach gefolgt und habe ihr Gesellschaft geleistet. Es war herrlich.«
    Ricarda fühlte sich ihm so nah wie noch nie. So, als bräuchte sie nur die Hand auszustrecken, um sein Herz zu berühren. Das er ihr anvertraute, einfach so.
    Traurig und verwirrt sah er sie an. »Wie kann das sein?«, fragte er. »Wie kann so was passieren? Wie kann es jetzt denn weitergehen?«
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Ricarda, und dann beugte sie sich hinüber zu ihm und nahm ihn einfachin die Arme. Seltsam, sein sehniger Körper fühlte sich schmal und irgendwie … zerbrechlich an.
    Er war überrascht, das spürte sie, und im ersten Moment war die Umarmung eckig und ungelenk. Doch keiner von ihnen ließ los, um sich zurückzuziehen. Und schließlich fühlte sich doch noch alles richtig an, fanden ihre Körper eine gemeinsame Sprache. Ricarda wusste, dass sie sie nie wieder vergessen würde.
    Kein einziges lautloses Wort.

    Am nächsten Morgen, als das erste Sonnenlicht den Park in fahles Licht tauchte, war alles anders. Der eigenartige Zauber der Nacht war verflogen, und Devis Körper war einfach nur ein Kadaver, um den sich immer mehr Fliegen sammelten und der bald anfangen würde zu stinken. Ihr Kopf, der lebendig so viel von ihrer Persönlichkeit ausgedrückt hatte, wirkte mit dem offenen, spitzen Maul, dem schlaffen Rüssel und den starrenden Augen wie die groteske Parodie eines Elefanten. Ricarda war froh, als kurz nach Sonnenaufgang ihre Freunde aus dem Elephant Refuge zwischen den Bäumen auftauchten; sie hatten Mae Sumali, ein ranghohes altes Weibchen, und Mae Na Rak, die begeisterte Fußballspielerin, dabei. Mit ihnen hatte sich Devi in ihrer Zeit im Refuge angefreundet.
    Ricarda war unfassbar froh, als sie Sofia sah. Sofia eilte auf sie zu, umarmte sie fest und hielt sie lange. »Es war schlimm, oder?«
    »Sehr schlimm«, sagte Ricarda und wischte sich dieTränen, die schon wieder anfangen wollten zu fließen, aus dem Gesicht. »Besonders für Nuan.«
    Und sie rechnete es Sofia hoch an, dass sie zu Nuan hinüberging und ihm sagte, wie leid es ihr um Devi tat. »Wie geht es dir jetzt?«
    » Sabaidii – es geht mir gut«, sagte Nuan mit ruhiger Würde. »Und auch Devi geht es jetzt gut. Ihr Geist wird wiedergeboren werden. Das Leben hier war nur eine Zwischenstation.«
    Die Mahouts – Jack und Djorakhee – stiegen ab, ließen den beiden Elefantinnen Zeit, ihrer toten Gefährtin Ehre zu erweisen. Sie beschnupperten und befühlten Devis Körper mit den Rüsselspitzen und wirkten dabei sehr bedrückt. Ihre ganze Haltung, der Ausdruck ihrer Augen, alles sprach davon, wie trostlos ihnen zumute war. Schließlich streuten sie je einen Rüssel voll Erde über Devi und begannen Zweige von den Bäumen und Grasbüschel aus dem Boden zu reißen, um die tote Elefantin damit zu bedecken. Das alles in völligem Schweigen, ohne das übliche Brummeln, Scharren und Schnaufen.
    Fasziniert beobachteten die Menschen das Ritual. Am liebsten hätte Ricarda Nuans Hand genommen, doch sie wusste, dass das keine gute Idee war. Sie hatte noch nie ein Pärchen Thais gesehen, das sich öffentlich seine Zuneigung zeigte. Küsse, Händchenhalten vor anderen, das war hier nicht üblich.
    Es war Zeit, Abschied zu nehmen – bevor Stadtverwaltung und Polizei zurückkamen, um sich um dentoten Elefanten zu kümmern und womöglich doch noch Nuans Papiere zu prüfen.
    Sofia ging Ricardas Schuhe suchen und fand sie schließlich sogar, einer auf dem Bürgersteig, der andere im Park. Sie waren völlig verdreckt und feucht vom Tau, aber Ricarda zog sie trotzdem an. Dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zurück zum Refuge. Jack bot Nuan einen Platz auf dem Rücken von Mae Na Rak an und nach kurzem Zögern nickte Nuan. Ricarda quetschte sich zu Sofia, Kaeo und Ruang in den roten Toyota. Die Stimmung war

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