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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Zeichen gebetet habe.«
    »Ein Zeichen von …?«
    Charlotte sprach ihren Satz nicht zu Ende, sondern hob nur die Hände samt Kolibri zu einer ironischen Geste Richtung Himmel. Im unendlichen Kobaltblau zeigte sich keine Wolke. Samuel schwieg. Wenn er nicht weiter so verblödet milde gelächelt hätte, hätte sie es gut sein lassen. Aber er lächelte.
    »Na, wunderbar, dann hat er dir hoffentlich ein Zeichen gegeben, wohin wir als Nächstes gehen. Denn sicher weiß dein Kolibri schon, dass Barbara in Sauers deutscher Zeitung in Germantown eine Anzeige aufgeben hat lassen, in der sie einen Ehemann sucht. Ich bin sicher, dass bald einer auftaucht, der sich nicht so ziert wie du. Aber wenn einer kommt, was machen wir bitte dann? Dann ist hier kein Platz mehr für uns. Sollen wir bei den wilden Leuten im Wald ein Lager aufschlagen, meine Reifröcke als Zeltstangen verwenden, Vögel fangen und über einem Lagerfeuer braten? Aber dann bitte etwas größere als den da!«
    Samuel tauchte endgültig an der Oberfläche auf, schluckte noch ein paar Mal hintereinander. Er fühlte sich in seiner Ehre getroffen.
    »Ich werde immer, hörst du, immer für dich und Rebecca so sorgen wie für meine eigene Familie. Ich kaufe neues Land, eigenes Land. Wir werden, bevor der nächste Winter kommt, ein Haus, Brennholz und genügend Essen, auch Fleisch haben. Dann wird dich auch niemand mehr bevormunden. Glaubst du, ich habe nicht gemerkt, dass es mit Barbara nicht immer einfach ist.«
    Die Empörung über ihre Zweifel an seinen Fürsorgepflichten verlieh seinem Gesicht Feuer und verführte Charlotte dazu, einen Moment zu hoffen, die Zeit unter den knisternden Segeln könnte sich wiederholen. Mit einer großartigen, ganz und gar nicht demütigen Geste strich sich Samuel die langen Haare hinter die Ohren, denn er trug ausnahmsweise keinen Hut. Seine Nase saß pfeilgerade und trotzig im Gesicht, aus dem das Lächeln wie ein Morgennebel getrocknet war. Ihr Blick fiel auf sein Ohr, sein rechtes. Perlmuttern polierte Höhlen und Gänge, gemeißelte Knorpel, an denen sie gern ihre Zunge gerieben hätte, und ein rührend samtiges Läppchen mit farblosen Härchen. Seine Augen fingen sie ab und fokussierten sie. Charlotte spürte das Gewicht der Einsprengsel in seiner bernsteinfarbenen Iris in ihrem Bauch. Trotzdem hakte sie nach. Schon um sich zu beweisen, dass sie nicht sentimental war.
    »Und wo, bitte schön?«
    »Mehr im Südwesten, im Lancaster County, denke ich. Das Land ist flacher, nicht so hügelig wie hier. Außerdem ist es dort sicherer. Die Indianer kommen jetzt immer häufiger über die Blauen Berge an den Maiden Creek herüber. Weil die anderen, gottlosen Siedler sie in Bedrängnis bringen, können sie nicht mehr unterscheiden, dass wir Täufer friedlich sind und es gut mit ihnen meinen. Nach Aaron Yoder wurden noch mehr von uns abgeschlachtet, kürzlich eine ganze Familie. Trotzdem würde ich gegen die wilden Leute nie zu einer Waffe greifen.«
    Leise fügte er hinzu: » Das weißt du doch …«
    »Ja, Samuel, das weiß ich.«
    Die Erinnerung an das, was im Schweineverschlag auf der »Good Intent« nicht und dann doch geschehen war, vergönnte ihnen einen gestundeten Rückzug in die alte Vertrautheit.
    »Ich verspreche dir, dass ich mich bald umschauen werde.«
    Am liebsten hätte Samuel einfach nur Charlotte angeschaut. Sich dabei zu ihr ins Gras gelegt und seine Finger so schnell wie damals die versteckten Knöpfe und Bänder an ihrem Kleid öffnen lassen. Doch er blieb stehen.
    Charlotte hatte ihn auf seinem Weg zu Gott ein großes Stück weitergebracht. Aber jetzt musste er die nächste Strecke alleine gehen. Ohne Gemeinde, ohne Frau, ohne Charlotte. Zwar erinnerte er sich nicht mehr an jedes einzelne Worte von Beisel, aber so viel hatte er behalten, dass diese letzte Etappe in den nicht gerade übersichtlichen Schlund seines Inneren führte. So als müsste er von oben einen schmalen, rußigen Kamin hinabsteigen, nicht wissend, ob er in einem trostlos verloschenen Aschenhaufen landen oder doch irgendwann überirdisch goldenes Licht finden würde, das dann hoffentlich nie mehr ausging. Allein darauf musste er sich jetzt konzentrieren.
    Trotzdem wurde ihm bei Charlottes Anblick schummrig. Die Strähne, die sich aus ihrem Haar gelöst hatte und sich auf ganz bestimmte, wagemutige Art in ihrem Ausschnitt ringelte, lenkte ihn mehr ab, als ihm lieb war. Von dem Kolibri, der, das hoffte er inständig, ebenso wenig Zufall war wie der

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