Der elektrische Kuss - Roman
erst recht ins Fließen, schwollen an und überspülten Hemmungen, vor denen sie sonst haltmachten. Die Decke war die Freundin, der man sich ohne Scheu und Scham anvertrauen konnte. Sie mischte sich zwar nie direkt ein, aber insgeheim spürten die Frauen, dass die Decke sie regelrecht dazu zwang, ihr alles preiszugeben.
In Barbara Yoders Erinnerungen glänzten deshalb die speckigen Furchen auf, die ihr Mann Aaron in den Boden gewühlt hatte, der ein paar Monate zuvor noch Feuchtschatten unter Urwaldbäumen gewesen war. Mit derselben Gewalt bearbeitete er nachts sie. Auch als sie einen Tag zuvor ihr erstes Kind geboren hatte und blutete. Auch als sie mit Fieber im Bett lag und ihr Körper wund war und höllisch schmerzte. Ein einziges Mal hatte sie sich verweigert, sich losgerissen und war im Hemd und barfuß in die Nacht hinausgerannt. Dann hatte sie die gellenden Schreie der Kinder gehört und war zurückgelaufen. Aaron schlug wie ein Wahnsinniger mit Zügelriemen auf die kleinen Jungen ein.
Ruben, der mittlere, dessen Geburt am längsten gedauert hatte, hielt sich beide Hände vors Gesicht. Als sie sie wegzog, sah sie, dass aus seinem linken Auge zäher blutiger Schleim lief. Danach blieb sie nachts immer im Bett. Aber eines musste man Aaron lassen, niemand konnte so kräftig und geschickt pflügen. Der Älteste hatte einmal vor der ganzen Gemeinde gesagt, alle Brüder sollten sich an Aaron ein Beispiel nehmen, weil er den Acker des Herrn mit solch frommem Fleiß bestellte. Sie hatte sich nur einen Daumennagel tief in die andere Hand gestoßen, um nicht laut aufzuschreien.
Auch Samuel Hochstettler konnte nicht so gut pflügen wie Aaron. Insofern war es kein Weltuntergang, dass er wieder fortging. Ein anderer würde kommen zum Arbeiten, diesmal würde sie ihn aussuchen und auch entscheiden, ob er in ihr Bett kam. Barbara hob ihren Unterrock und legte sich mit Aaron in eine der frischen rotbraunen Furchen. Als er mit seinen Knien ihre auseinanderzwängte, holte sie das kleine spitze Messer aus ihrer Schürzentasche. Das sie von ihrer Mutter mitbekommen hatte und das sich am besten eignete, aus Rüben faulige Stellen herauszubohren oder den Stalldreck unter den Fingernägeln wegzuputzen. Gleich neben dem Wirbelpanzer hinten an Aarons Nacken fand sie eine weiche Stelle und stach zu. Mehrmals hintereinander. Gott sei gelobt.
Auch ich bin kräftig und geschickt, sagte die Witwe Yoder wortlos, hob den Kopf und blickte in die Runde. Charlotte und Sarah lächelten sie an. Es war anstrengend gewesen, Aaron an seinen Füßen aus der Furche heraus und dann über das Feld zu ziehen. Das sollten ihr die beiden ruhig mal nachmachen, die noch immer keine Ahnung hatten, wie Amerika sein konnte. Schließlich war Aaron ein Schrank von Mann gewesen. Mit Brechstangen als Unterarme und einem Hals, der blaurot anschwellen konnte wie ein Schweinedarm, wenn man ihn am Schlachttag mit zerhacktem Fleisch und Blut füllte. Seine Stiefel hatte sie aufgeschnürt, abgezogen und in einen Sumpf geschleudert. Barbara wischte sich mit dem Handrücken über Mund und Kinn. Ihr Schweiß, warm und blasig, wurde von der blauen Decke aufgesogen.
Was die Schande der Meidung nicht ausmerzen, sondern nur hatte wegsperren können, trommelte beim Anblick der Treppenkaskaden an Sarahs dünnhäutige, blau geäderte Schläfen: die schnellen kleinen Schritte der Menuette, die sie einmal in einer kalten Scheune getanzt hatte. Mit fliegenden Haaren, weit weg über dem Meer in der Alten Welt. Die Schreie in der Brust hatten nicht nur ihre Zunge, sondern auch ihre Füße gelähmt. Doch jetzt begannen sie unter dem Tisch, wenn auch verhalten, wieder zu zucken. Die Spitzen vibrierten. Sarah überlegte, ob sie ihrem zukünftigen Mann je von der unbändigen Freude erzählen sollte, die sie damals empfunden hatte. Kaum gedacht, wurde diese Idee auch schon von der Angst erstickt, Johann könnte sie für eine Sünderin halten. Für eine, die die Welt liebte. Niemand wusste hier am Maiden Creek oder sonstwo in Pennsylvania von ihrer Meidung. Dunkelheit spülte über die blassblaue Decke und in Sarahs Augen. Für den Rest des Tages und auch am nächsten Morgen kam wieder kein einziges Wort aus ihrem Mund.
Charlottes Gedanken plätscherten zunächst träge und versickerten schnell. Aber der gleichbleibende Rhythmus zwischen Auge und Hand holten sie immer wieder hervor. Mit der Zeit wurden sie lebhafter. Zuerst sah sie statt der Stiche die zielstrebige schwarzbraune
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