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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Bund mit Gott und vor der Gemeinde versprochen haben. Dass wir der Welt, dem Hochmut, der Eitelkeit, dem Schein und all den Versuchungen des Fleisches absagen. Wir sollten allen Untugenden des Teufels fliehen, also jeder Kleidermode, jeder militärischen Uniform, jedem Ungehorsam gegenüber den Eltern, Großeltern, der Gemeinde. Wir wollen uns nicht schmutzig machen mit Kartenspielen, Lesen von geschwätzigen Büchern oder noch schlimmer solchen mit Gefahren für unseren Glauben. Auch das Musizieren mit Instrumenten ist Prunk und hilft dem Teufel, uns zu krallen. Ebenso das Schaukeln auf den Bänken und Wippen, das diejenigen zuerst praktiziert haben, die dann wollüstig aufsprangen und zügellos um das goldene Kalb, das ihnen Aaron aufzurichten erlaubt hatte, tanzten, während Mose noch bei Gott auf dem Berg war.«
    Samuel spürte, wie der Junge neben ihm erstarrte. Vor über zehn Jahren hatte Egly über Daniels Vater, der allein mit fünf Kindern dastand, den Bann verhängt, und alle Gemeindemitglieder hatten ihn meiden müssen, als ob er die Pest hätte. Ging es damals um zu viele Bücher im Haus? Oder dass die kleinen Mädchen oft ohne Hauben auf dem Haar herumschwirrten wie aus dem Nest gefallene Vögel? Andere hatten gemunkelt, dass der Witwer sich in eine Evangelische verliebt hatte und sie sogar heiraten wollte. Samuel konnte sich nicht mehr erinnern. Vielleicht weil er schon damals so wenig wie möglich davon hatte erfahren wollen.
    »Insbesondere das selbstverliebte Lockendrehen und Flechten der Haare …«, walzte sich die Stimme des Ältesten weiter über die Köpfe und in das Gewissen der Gemeinde. Magdalena Holly biss sich ertappt auf die Lippen, es dauerte nicht lange und Tränen sickerten in ihre Schürze. Tatsächlich hing manchmal eine ihrer schwarzen gewellten Strähnen wie unabsichtlich vom Wind herausgezerrt seitlich aus der Haube. Dafür riskierten die jungen Männer einen Blick. Damit ließ sich einfach nur spielen, wenn sie die Hühner abends in den Stall trieb. Ihre Eltern schimpften sie, weniger streng als spöttisch, manchmal schmunzelten sie auch nur. Sarah griff von hinten zwischen den Hüften zweier Frauen hindurch nach Magdalenas Hand.
    Egly wusste, dass auch die Frömmsten unter den Frommen ständige Kontrolle und Ermahnung brauchten, damit kein Unkraut zu wuchern begann oder gar einige seiner Schafe ausscherten und sich in die Welt verirrten. Einige Male hatte er in den Jahren, seit er Ältester war, auch solche ertappt, die schwer sündigten. Dann hatte er sie mit all der Macht, die ihm zur Verfügung stand, büßen lassen. Manche hatten die Herde verlassen, andere waren zur Einsicht gekommen und zurückgekehrt. Für heute genügte es. Er nickte Noah zu, der sich schwerfällig erhob.
    Kein Prediger las ab. Dazu kannte jeder in der Gemeinde die Heilige Schrift zu genau. Sie wollten hören, dass Noah ihnen sagte, was Gott ihm gerade heute eingegeben hatte und mit ihnen teilen wollte. In schlichten Sätzen, geradeheraus, so wie Bauern sprachen und nicht wie Gelehrte und Wortverdreher. Der Herr teilte sich immer durch denjenigen mit, der an den Sonntagen zum Prediger bestimmt worden war. Darauf konnte man vertrauen, das hatte sich bewährt. Noah baute, obwohl er auch ein guter Bauer war, die Kutschen für alle amischen Familien weit und breit. Manchmal auch welche für die anderen Täufer, die Reist-Leute, von denen man sich vor fast fünfzig Jahren getrennt hatte. Aber das durfte der Älteste nicht wissen. Keiner hatte wie Noah das Augenmaß, das feine Gefühl für Stabilität und gleichzeitig die schaufelgroßen Hände. Seine Predigt begann im Paradies und beschrieb zunächst die Rolle der Schlange.
    »Wobei alle anderen Tiere gutartig und Gottes Schützlinge sind.«
    Noah verstummte und lächelte, und alle nickten und dachten an seinen schönen Namen und die Kühe, Schweine, Hühner, Katzen und Pferde in ihren Ställen zu Hause. Samuel dachte natürlich insbesondere an Älbli und ihr Stutenfohlen. Dann fuhr Noah mit Abraham fort, dem eröffnet wurde, dass sein Same Fremdling sein müsse in fremden Landen. Es folgte Josefs wundersame Rettung und sein großer Erfolg in Ägypten, den er vor allem der Sparsamkeit und dem Augenmaß zum richtigen Zeitpunkt verdankte. Wieder nickten auf den Bänken alle Köpfe. Ja, da hatte Noah recht. Josefs für Notzeiten gefüllte Kornscheunen gefielen ihnen sehr, und es war richtig von Noah, dass er sie dazu brachte, über Gottes Freude an gutem,

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