Der Elfenhuegel
Sommernachtsbrise, und in ihren Ästen trällerten Nachtvögel gequälte, ergreifende Lieder. Jeder Baum hatte dunkelgrüne Blätter und einige keimende Blüten, es gab jedoch kein Licht am Himmel. Im Gegenteil, das Licht kam von den Stämmen, den Blättern, den Blüten, dem Gras, selbst von dem nackten Boden. Es war eine Landschaft aus einem unwahrscheinlich phosphoreszierenden Glühen, nicht aus einer einzigen Beleuchtungsquelle, die Schatten wirft. Der Duft von blühenden Nachtblumen hing in der Luft, und das Zirpen der Grillen bildete einen Gegenpol zu den Liedern der Vögel. Das war kein niederdrückender, böser Ort, in dem verrückte Geister ihren dunklen Haß gegen die Menschheit verbargen. Dies waren magische Wälder, Märchenwälder, Wälder voller Zauber und Wunder. Ihre Schönheit war beinahe überwältigend, denn in dieser seichten, dunklen Waldlandschaft gab es nichts, vor dem man sich fürchten mußte. Im Gegenteil, Sean hatte das Gefühl, als ging er bei Nacht durch die perfektesten und exzellentesten Wälder der Welt. Und dann waren da noch die Farben, die allerdings fremdartig und unerwartet waren. Alles sah aus wie in einem schwachen, infraroten Gemälde, mit zarten Schattierungen auf den Bäumen und Blättern, und dennoch war alles lebendig, alles war harmonisch, nicht verdreht und verdorben wie im Land der Schatten.
Das war das Märchenland, das er in seinem Herzen erwartet hatte.
Sean fiel auf, daß der Jagdführer schwächer zu glühen schien; als benötige er nicht soviel Licht wie im Land der Helligkeit und im Land der Schatten. Aber andererseits schien der Gegenstand bereit, in seinem fröhlichen seitlichen Muster in Bewegung zu kommen, anscheinend ohne Rücksicht auf seinen Standpunkt. Er gab so eine beunruhigende Antwort auf Seans Anliegen, den Narr zu finden, doch der Junge sah darin ein beruhigendes Zeichen. Im stillen hoffte Sean, der Leuchtende Mann und das Böse Ding würden noch durch das Land der Schatten reiten und nicht so bald auf diesem Weg zurückkommen. Mehr als alles andere flehte der Junge darum, Patrick zu finden und schnell fliehen zu können, ohne dem Leuchtenden Mann gegenübertreten zu müssen.
Irgendwie spürte er, daß das unwahrscheinlich war, aber der Gedanke versetzte ihn in eine optimistischere Stimmung.
Der Jagdführer schien seine Geschwindigkeit zu steigern, und Sean paßte sich dem schnelleren Tempo an. Er sah darin ein Anzeichen, daß sie sich ihrem Bestimmungsort näherten oder daß irgendeine Gefahr sie einholte, woraufhin sich sein Herzschlag beschleunigte und er wieder wachsam wurde, jegliche Müdigkeit war jetzt wie fortgespült.
Sie wanderten an dicken Stämmen entlang, und der Fahrweg verengte sich stellenweise derart, daß der Junge sich wunderte, wie das Pferd des Leuchtenden Mannes hier durchkommen konnte. Dann standen sie plötzlich vor einem anderen Märchenhügel, nur daß dieser wegen der tiefhängenden Äste, die beinah einen schwarzen Baldachin über dem Gipfel bildeten, größer zu sein schien als der Hügel der Königin. Sean kam er wie ausgestorben vor, oder vielleicht konnte er nur niemanden sehen.
Der Führer schaukelte vom Pfad weg und bewegte sich den Abhang hinauf, und Sean folgte ihm, wobei seine kurzen Beine beim Klettern ermüdeten. Auf dem Gipfel fand er ein großes Zelt voll schwarzer Seide und Kissen vor, und in dem Zelt fand er Patrick.
Patrick lag inmitten eines Haufens voller Kissen und schlief tief. Sean schaute auf seinen Bruder hinunter und spürte, wie sein Herz einen Sprung machte. Schon in den wenigen Tagen, die er gefangen gehalten wurde, hatte Patrick angefangen sich zu verändern. Er trug keine Kleider, außer einem kleinen Lendentuch aus Blättern, und ein schwarzblühender Kranz und Blätter im dunkelsten Grün waren in sein Haar geflochten worden. Seine Lippen waren mit einem dunklen Rot geschminkt und seine Augenlider mit etwas angemalt, das ihnen einen perlmuttartigen Glanz verlieh, genauso wie seinen Nägeln. Um ihn herum schliefen winzige Kreaturen, und keiner schien von Seans Eintreten gestört zu werden. Sean starrte sie an, denn zum ersten Mal stand er Elfen gegenüber, die zu seiner jungenhaften Erwartung paßten.
Winzige Kobolde und kleine Elfen schmiegten sich an Patrick; jede war von menschlicher Erscheinung und nackt, mit köstlichen Flügeln, die ihre Rücken verzierten. Aber ebenfalls um Patrick herum schlummerten Kreaturen von weniger wohltuender Erscheinung, krötenartige Wesen und
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