Der Elfenhuegel
Verzweiflung.
24
Die Wälder hatten jetzt etwas von der Gestalt eines hoffnungslosen Traumes, dunkle Bäume, die sich wölbten, standen so nah beieinander, daß ihre verdrehten Äste wie gewebte braune Linien aussahen, eingeritzt in einem schwarzen Zelt, ein Baldachin aus Batik voller trauriger Erscheinungen erhob sich hoch über dem Kopf. Hier konnte man die Stimmung von Jahrhunderten spüren; Sean blickte ängstlich von einer Seite zur anderen, als ob ihn an jeder Biegung etwas anspringen könnte. Die Rinde der Bäume war tief gefurcht, von der Zeit verwüstet, sah sie aus wie die ledernen Gesichter uralter Männer, Männer, die seit Ewigkeiten gefoltert wurden. Ein widerhallender Wind blies, und die schwingenden Äste schienen nach ihm zu greifen, als wollten sie drohen… oder flehen.
Sean ging weiter, während er sich an den Terror dieser Nacht, in der Patrick fortgenommen wurde, und an seine eigene Furcht erinnerte. Er wußte, hätte es Barneys Märchenstein nicht gegeben, wäre er zusammen mit Patrick ein Gefangener. Und als der Leuchtende Mann kam, um sie zu holen, hatte sich Sean zu etwas Geringerem als einem Menschen verwandelt, einem Tier, einem Ding, das vor Furcht kroch.
Nichts, was er jetzt sah, konnte dieser Hoffnungslosigkeit, diesem Ausgeliefertsein aller Überlebenssinne, gleichkommen. Sein jugendlicher Geist kämpfte mit der Realität des verletzten Stolzes und dem Drang nach Rache, und da alles völlig anders war als das, was er samstags morgens im Fernsehen gesehen hatte, erkannte er es nicht.
Aber nichtsdestoweniger spürte er diesen Druck, und er wußte, wenn er dem Leuchtenden Mann einmal gegenüberstände, würde er handeln, trotz seiner schrecklichen Angst vor dieser Erwartung. Er dachte nicht darüber nach; er akzeptierte es einfach. Ohne Patrick fehlte ein Stück von ihm, denn das besondere Band zwischen ihnen das Band, das es ihnen erlaubte, ungewöhnliche Gedanken zu teilen, zu bemerken, was der andere fühlte, zu wissen, wo der andere sich aufhielt –, dieses Band war zerrissen worden. Ohne Patrick war Sean weniger als zuvor. Das Schicksal hatte ihm die Möglichkeit geboten, seinen Bruder einzulösen, und nichts Geringeres als der Tod konnte ihn stoppen.
Das flötenartige, stetige Geräusch des Windes wurde durch das Geräusch von schnell näher kommenden Hufschlägen zerrissen. Der Himmel verdunkelte sich unheilverkündend, als ob die Nacht vor dem sich nähernden Reiter vorrückte. Sean stand dort, unsicher, was er am besten tun sollte, sich verstecken, fliehen oder stehenbleiben. Er wählte die erste Möglichkeit und rannte los, um das Licht zu überholen. Er erreichte es und fand die zuverlässige Kugel von der Größe eines Baseballs. Er schnappte sie und floh in das Dickicht am Straßenrand, kroch hinter einen umgefallenen Holzklotz und blinzelte durch das hohe wilde Gras, wobei er das Licht seines Jagdführers unter seinem Körper versteckte.
Ein Reiter raste die Straße entlang, eine Gestalt aus einem Alptraum.
Ein glühendes weißes Pferd streckte sich lang aus und schien zu fliegen, wobei sich lange Beine in fließendem Rhythmus bewegten. Eine feurige Mähne und der Schwanz flogen hinterher, als der Reiter sein Roß anspornte. Der Reiter war ganz in Schwarz und Silber gekleidet, Pfeil und Helm, Umhang und Waffenrock. Sein pechschwarzer Umhang schleifte wie irgendein gigantisches, aufgeblasenes Segel hinterher und flatterte in der Brise. Er hielt seinen Kopf hoch, als wäre er auf der Suche, denn schwarze Augenschlitze in dem mit Geweihsprossen bedeckten, silbernen Helm schienen in die Wälder zu spähen, während er vorbeiraste.
Hochgelegen auf seinem Steigbügel, die Stiefel seines Meisters umklammernd, befand sich das Böse Ding, und sein böses, schrilles Gelächter durchschnitt das Trommeln der Pferdehufe. Es schien seinen riskanten Ritt zu genießen. In der Zeitspanne zwischen zwei angstvollen Herzschlägen war der Reiter vorbei.
Sean wartete eine lange Minute und erlaubte seinem Herzen, sich zu beruhigen, dann erinnerte er sich an den Führer. Er bewegte sich von ihm herunter und sah eine dumpfe graue Metallkugel, die jetzt schwer und reglos war. Voller Verzweiflung blickte er sie an, denn wie sollte er Patrick ohne den Führer finden? Er spürte Tränen in seinen Augen, während er flüsterte: »Bitte. Stirb nicht. Hilf mir, Patrick zu finden!«
Er wiederholte die Worte, die Barney ihn gelehrt hatte, aber die Kugel blieb regungslos. Zuletzt fand er sich
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