Der Elfenthron - Brennan, H: Elfenthron
mithilfe von Medien.« Er war zunehmend verwirrt darüber, was Mr Fogarty eigentlich sagen wollte.
»Das sind die Kinder, die mit
ihnen
Kontakt aufnehmen! Die Toten machen nicht den ersten Schritt«, sagte Mr Fogarty ungeduldig. »Wie viele Menschen sterben jeden Tag in unserer Welt? Millionen und Abermillionen. Und wie viele tauchen wieder auf, um mit den Lieben, die sie zurücklassen mussten, schnell ein Wort zu wechseln? Eine Handvoll. Eine winzige Handvoll. Und du hast dich nie gefragt, warum?«
»Also …«, begann Henry.
Aber Mr Fogarty schnitt ihm das Wort ab. »Ich werde dir sagen, warum. Das Leben ist anders, wenn man tot ist. Man sieht die Dinge anders. Ich meine damit nicht bloß, dass man seine Meinung über die Dinge ändert – obwohl man das natürlich sowieso tut –, ich meine, dass die
Wahrnehmung
der Welt anders ist. Man kann die
Zeit sehen
, um Himmels willen. Das war die größte Überraschung, daran musste ich mich erst mal gewöhnen, das kann ich dir sagen.«
Das bedeutete, dass Mr Fogarty die Zukunft sehen konnte, dachte Henry in einer plötzlichen Woge der Aufregung. Er konnte sagen, was geschehen würde, wie sie Mella vielleicht zurückbekommen könnten und wann die Haleklinder genau ihre Invasion beginnen würden. Er öffnete den Mund, um einen Haufen Fragen zu stellen, aber Mr Fogarty schnitt ihm wieder das Wort ab.
»Und bevor du wieder anfängst, mich mit allen möglichen dummen Fragen zu bombardieren, das heißt nicht, dass ich dir die Zukunft vorhersagen kann«, sagte Mr Fogarty. »Wenn man tot ist, sieht man die Zeit wie ein riesiges Feld. Überall wandern dort Menschen umher. Man kann sehen, wo sie gewesen sind, aber sie entscheiden, wo sie hingehen, sodass sich die Zukunft jedes Menschen andauernd ändert. Ich kann dir sagen, was vielleicht geschehen wird, aber nicht, was aufjeden Fall passiert, aber das konnte ich schon, bevor ich gestorben bin. Das könntest du selber auch, wenn du dich mal dazu entschließen würdest, nachzudenken.« Er hustete, als wollte er mit einem Räuspern seine Kehle befreien, die er nicht mehr hatte. »Wie auch immer. Die Sache ist die, die Dinge ändern sich, wenn man stirbt.
Man selbst
ändert sich. Dinge, die früher wichtig waren, sind es einfach nicht mehr. Versteh mich bitte nicht falsch: Menschen sind wichtig – man liebt sie immer noch oder hasst sie –, aber wie es ihnen ergeht, ist nicht mehr so wichtig, weil man sieht, wo sie gewesen sind und wo sie hingehen und wie sie kehrtmachen könnten und so weiter.«
Henry blickte Blue wieder an. Dies ergab nicht sehr viel Sinn für ihn. »Mr Fogarty«, sagte er, »dies ergibt nicht sehr viel Sinn für mich. Ich …«
»Man stirbt zweimal«, sagte Fogarty.
Henry blinzelte. »Man tut was?«
»Es gibt einen zweiten Tod«, sagte Mr Fogarty. »Man stirbt einmal – dein Körper stirbt –, aber das tötet einen noch nicht ganz. Man kann als Geist eine Weile rumhängen, manchmal in der alten vertrauten Umgebung – das macht wirklich Spaß, niemand kann einen sehen –, manchmal in den Traumwelten. Schwer zu sagen, wie lange das anhält: Die Zeit ist seltsam, wenn man keinen Körper mehr hat – deshalb frage ich dich immer, wie lange etwas her ist. Für dich vielleicht Stunden oder Jahre, für mich ist es fast so, als würde die Zeit gar nicht vergehen. Dennoch tut sie es, und meine ist beinahe vorbei.«
Henry blieb vollkommen still. Trotz der Bedrohung für Mella, trotz des drohenden Krieges, konzentrierte er sich plötzlich auf eine andere schaurige Gefahr.
»Die Sache ist die«, fuhr Mr Fogarty fort, »der Geistkörper, in dem man steckt, hält nicht ewig. Er stirbt ebenfalls, genau wie dein physischer Körper. Der zweite Tod. Meiner kommt näher.«
»Was passiert mit Ihnen, nachdem Sie …«, fragte Henry.»Was passiert mit Ihrer …« Er wollte
Seele
sagen, aber es klang irgendwie altbacken, und Mr Fogarty war nie religiös gewesen, »… Ihrem Bewusstsein?«, beendete er leise den Satz.
»Weiß ich nicht«, sagte Mr Fogarty knapp. »Aber an eurer Stelle würde ich nicht die Luft anhalten und darauf warten, dass ich für euch eine zweite Armee aufstelle.« Henry hörte tiefes Bedauern in seiner Stimme, als er hinzufügte: »Oder euch bei Mella helfe.«
Vierzig
Mella saß auf ihrem Stuhl und starrte nachdenklich auf den Fußboden. Sie hätte glücklich sein müssen. Der Mann, der behauptete, ihr Onkel zu sein, würde sie bald nach Hause bringen
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