Der Elfenthron - Brennan, H: Elfenthron
»Wir sind absolut identisch. Wir sind nur ganz unterschiedlich aufgewachsen. Ich vermisse es, Eltern zu haben. Ich vermisse es, eine Kindheit gehabt zu haben.«
Um das Thema zu wechseln, sagte Mella: »Du solltest mir lieber erzählen, was Lord Hairstreak vorhat. Mit dir, meine ich. Weißt du das?«
»Natürlich weiß ich das.« Mella II klang ein wenig hitzig. »Er hat mit mir über alles gesprochen. Er dachte, ich wäre sein gehorsames kleines Geschöpf, das absolut alles für ihn tun würde. Er ist nie auf die Idee gekommen, dass ich zu dir halten könnte, wo ich doch du bin.«
Nach einem Augenblick forderte Mella sie auf: »Erzähl weiter.«
»Es ist wirklich komisch. Ich denke immer, du müsstest das doch alles schon wissen. Aber das kannst du ja gar nicht.« Mella II ergriff Mellas Hand. »Lord Hairstreak hat mich gemacht, damit er dich töten lassen könnte.«
»Was?!« Mella starrte sie an.
»Er hat mir den Plan geschildert, bevor er seinen neuen Körper bekam, als er noch ein Kopf auf einem Kubus war. Er wusste, das Reich würde ihn nie als König akzeptieren – dazu war er einfach zu gruselig. Die ursprüngliche Idee war, dich entführen und in seinem Bergfried töten zu lassen und dann mich an deiner statt zurückzuschicken, damit ich meinen Platz im Purpurpalast einnehme. Ich sollte natürlich alles tun, was er mir sagte.«
Mella starrte sie an. »Und Mama und Papa?«, fragte sie.
»Oh, sie sollten auch getötet werden.«
»Einfach ermordet? Wie ich?«
»Nicht genauso. Eigentlich überhaupt nicht so. Er hatte damals zu viel Zeit totzuschlagen, so als Kubus.« Sie zögerte.»Also richtig totschlagen konnte er ja gar nichts, aber du weißt schon, was ich meine.«
»Oh, erzähl schon!«, sagte Mella ungeduldig.
Mella II grinste sie an. »Er hat sich überlegt, dass Haleklind das Elfenreich attackieren sollte. Natürlich hätten die alten Zauberer das nie getan – sie waren merkwürdig, aber sie haben sich nicht für internationale Politik interessiert und hatten keinerlei territoriale Ansprüche –, also hat er einen Putsch finanziert, ließ sie aus dem Amt jagen und die Tafel der Sieben installieren. Die Sieben waren angeblich das neue Revolutionäre Regierungskomitee, in Wirklichkeit aber erhielten sie ihre Anweisungen von Lord Hairstreak, wenn es um wirklich wichtige Dinge ging.«
»Warte mal«, sagte Mella. »Haleklind hätte niemals den Hauch einer Chance, das Elfenreich zu erobern, egal mit welcher Regierung. Sie haben doch nur eine winzige Armee. Das weiß selbst ich. Das ganze Land ist eine einzige magische Industrie. Seit Jahrhunderten denken sie nur daran, ihre Zauber zu verkaufen.«
»Schon richtig«, sagte Mella II. »Aber Lord Hairstreaks Idee war es, eine magische Armee aufzustellen. Er wollte, dass sie Mantikore züchten.«
»Mantikore?«
»Das sind große mythische Wesen, teils Löwe, teils Skorpion, teils …«
»Ja, ich weiß schon, was Mantikore sind. Aber man kann magische Wesen nicht züchten. Man muss sie eins nach dem anderen anfertigen. Das weiß doch jeder.«
»Und offenkundig irrt sich da jeder«, sagte ihr Mella II mit Nachdruck. »In Haleklind wimmelt es inzwischen von Mantikoren, und sie sind Lord Hairstreaks geheime Armee.«
Nach einer langen Pause sagte Mella: »Also greifen die Haleklinder das Elfenreich mit Mantikoren an und töten Mama und Papa …«
»… dann tritt Lord Hairstreak auf und verhandelt über einen Waffenstillstand, Held der Stunde, Applaus, Applaus,und du wirst Kaiserin, nur bist du schon tot, und in Wirklichkeit bin ich es, und Lord Hairstreak führt das Elfenreich mit meiner Hilfe, denn ich bin natürlich bloß seine niedliche kleine Schöpfung, also tue ich, was er sagt, und dann, wenn ich alt genug bin, heiratet er mich und …«
Mella erstickte beinahe. »Er tut was?«
»Heiratet mich«, wiederholte Mella II. »Er kann das ganz legal tun, weil ich ja angeblich du bin, du erinnerst dich, und er ist kein Blutsverwandter, also heiratet er dich und wird Kaiser. Das will er doch schon seit Jahren.«
»Ich glaube, ich muss mich mal hinsetzen«, sagte Mella. Sie lehnte sich an einen dicken Baumstamm und sank dann auf den moosigen Waldboden. »Was für eine perverse Sau!«
Mella II setzte sich neben sie. »Er hat einen Killer auf dich angesetzt, aber dann bist du weggelaufen, und das hat erst mal seine Pläne zunichte gemacht.«
Mella hielt sich den Kopf. Mit all den Erinnerungen einerseits und den vielen neuen
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