Der Engel Der Kurie
Frauen saßen in Grüppchen da, tranken Wein oder Grappa und redeten munter durcheinander; wer immer vorbeiging, wurde aufmerksam gemustert, und aus den Gruppen heraus taxierten sie sich gegenseitig, wer wohl für was an diesem Abend in Frage käme. Die Huren bewegten sich ohne Scheu und Zurückhaltung; es gab hübsche und häßliche, junge und alte, die oft schon mit einem Blumenstrauß oder einer Karaffe Wein zu kaufen waren.
Während Jakob seinen Wein trank, flogen ihm so aufreizende wie unverschämte Reden zu, oder er hörte, wie an den Ecken gefeilscht und verhandelt wurde.
»Schau nur«, lästerte eine Rothaarige im kurzen Rock, »die hat ja Zähnchen weiß wie Milch und dünkt sich, sie sei der Seicento.«
»Im Gegensatz zu dem Berberhengst erzielt sie aber keine 600 Scudi bei den krummen Beinen.«
»Stimmt«, erwiderte die erste und brach in ein ordinäres Lachen aus.
»… so ein Taugenichts stochert in jedem Loch herum und macht dir Knutschflecke, dann zieht er maulig davon und läßt dir nicht mal ein Tüchlein zurück …«
»… möchte bloß wissen, wann die ihr Holzwasser trinkt …«
»… nehme ich keine Franzosen mehr …«
»… schlimmer sind die Neapolitaner mit ihren himmelhohen Prahlereien …«
»… hast du die gesehen mit ihrem runden Steiß? Reinbeißen, sag' ich dir …«
»Meinst du nicht eher: reinstochern? – Mir ist sie zu drall, da pack ich lieber die da drüben, sieh nur, was für eine Zwetschge …«
Jakob lächelte; zwar waren die einfachen Römer und Römerinnen derb, aber entwaffnend ehrlich. Er konnte sich tatsächlich nicht vorstellen, unter diesem Volk einen so bestialischen Mörder zu finden, wie er ihn zu suchen hatte. Die Art und Weise, wie der Mord ausgeführt worden war, sprach für einen Täter, der eine wilde Gemütsbewegung mit einem nüchtern bedachten Plan verband; da mußten sich Wut oder Ekel mit dem dringenden Bedürfnis verbinden, sich auszudrücken, anders war die stets gleiche Verstümmelung der Opfer kaum vorstellbar. Ein einfacher Mörder würde zustechen, wie es ihm gerade in den Sinn kam; und ein nur durchdacht handelnder würde auf die Kennzeichen der Raserei verzichten.
Während Jakob eine Kupfermünze auf den Tisch legte und weiterschlenderte, stellte er sich einen Kleriker vor, der gegen den geilen Drang ankämpfte und in diesem Ringen immer wieder unterlag, der Lust nachgab, danach aus Scham und Zorn seine Gespielin malträtierte und noch in der Mordtat den Plan verfolgte, mit dieser Tötung ein Zeichen für alle anderen Huren zu setzen, daß sie von ihrem schändlichen Treiben abließen. Ja, die Morde könnten eine Warnung für die Lebenden sein: Schaut her, so kann es euch auch ergehen, wenn ihr weiter diesem liederlichen Gewerbe anhängt.
Die Villa von Ambrogio Farnese lag zwar innerhalb der Aurelianischen Stadtmauer hinter dem Aventin, kurz vor der Cestius-Pyramide; es war jedoch ein weiter Weg vorbei an vielen zerfallenen Häusern und verwilderten Gärten, und nicht nur einmal bereute Jakob, das Angebot einer Kutsche abgeschlagen zu haben. Andererseits entdeckte er den besonderen Reiz eines solchen Spaziergangs, der es ermöglichte, hier und da einen Blick auf verfallene Gemäuer und moosbewachsene Marmortafeln zu werfen. Erst vor wenigen Tagen hatte es an der Sapienza einen gelehrten Disput über die Sammlung von antiken Tafelinschriften gegeben, welche Andreas Fulvius der römischen Akademie vorgelegt hatte und die im kommenden Jahr veröffentlicht werden sollten. Daher ließ Jakob auf dem Weg unter dem Aventin entlang keine Marmortafel unbeachtet und kam mit einigen neuen Erkenntnissen über die römische Stadtgeschichte bei dem Gittertor der hell erleuchteten Villa an.
Am Eingang prangte stolz das Wappenschild der Farnese mit den sechs Hellebardenspitzen. Mehrere Bedienstete standen bereit, die Gäste zu empfangen. Als ein Diener Jakobs gewahr wurde, eilte er sofort herbei und geleitete den Mönch zum Haus. In der Eingangshalle wurde ihm der Mantel abgenommen, dann wurde er in den Innenhof geführt, in dessen Mitte ein beleuchteter Brunnen stand. Gemessenen Schrittes kam ein alter Mann auf ihn zu, verbeugte sich und sprach: »Ihr seid Doktor Jakobus, der Lehrer meines jüngsten Sohnes. Seid mir willkommen.«
»Vielen Dank für die Einladung, Ambrogio Farnese«, entgegnete Jakob und ergriff die hingestreckte Hand.
»Ich sprach sie aus selbstsüchtigen Gründen aus, denn wie ich hörte, seid Ihr ein scharfsinniger
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