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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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hatte, die später seine Frau war: es hatte ihn nach Zärt- lichkeiten verlangt, aber er hatte nicht gewagt, ihr auch nur den Arm anzubieten – an Herbstabenden in der erleuchteten Stadt – manchmal ging es durch dunkle Gassen, und an einer heller- leuchteten Station stiegen sie in eine Bahn und sprachen die ganze Zeit von Büchern, Kinostücken, Vorträgen, die sie gehört hatten. Sie war nicht hübsch und nicht elegant gewesen, klein
    und unscheinbar, und zwischen den Baumstämmen war das
    sanfte Licht der Gaslaternen gewesen, gelb, sich verteilend, fließend, fast flüssig, und zwischen Licht und Bäumen, diesen grauen sanften Bäumen, hatte der Nebel in langgezogenen dich- ten Schwaden wie Rauch gestanden und sich langsam ausgebrei- tet, fast schwelend wie verdecktes Feuer – Dann war er am Fluß vorbei nach Hause gegangen, sehr langsam, ganz nah an dieser Schwelle aus Granit, die den Damm oben krönte, und neben ihm war im Nebel unsichtbar das Wasser gewesen, rauschend, sehr ruhig und stetig, und er hatte die Zigarettenstummel immer so weit er konnte in den Nebel hineingeworfen, wo sie zischend im Nichts erloschen…
    Sie rührte sich immer noch nicht, einmal zog sie die Decke vom Fuß etwas höher und fester, und er nahm diese mädchen- hafte, ungeduldige Bewegung wie etwas Neues hin…
    Er trat plötzlich ohne anzuklopfen ein, ging sofort auf sie zu und küßte sie auf den Mund. Er spürte ihre sanften, etwas feuch- ten Lippen und sah, daß sie die Augen offen hielt: ihre Augen waren dunkelgrau, schimmernd und etwas schräg, und in dem ruckartigen Hochschlagen der violettschimmernden Lider war etwas Puppenhaftes. Er sah sie an, während seine Lippen ihren Mund festhielten, er hatte sie am Nacken gepackt und spürte ihre Haare glatt zwischen den Fingern. Er blickte sie sehr lange an und sie schlug die Augen nicht nieder, erst später, als sie das Buch hatte fallen lassen und er sich tiefer beugte, später erst schloß sie die Augen, und es erschreckte ihn zu beobachten, wie ihr Gesicht die Spuren einer sanften Verzückung zeigte…
    Er ließ sie los und fühlte, daß er errötete.
    »Setz dich doch«, sagte sie. Sie hatte sich aufgerichtet, die Decke von den Beinen gestreift, die Füße herumgeschwenkt und saß nun. Er konnte nicht verstehen, daß er sich so freute, sie zu
    sehen. Er nahm ihre Tasse vom Stuhl, stellte sie hinter sich auf
    den Tisch und setzte sich. Sie sagte: »Du lachst ja, du lächelst ja, was ist los?«
    Er sagte nichts, er spürte die Wärme des Ofens wohltuend hin- ter sich.
    »Mein Gott«, sagte sie wieder, stand auf, packte das Marmela-
    denglas, das Brot, das Messer, ließ dann alles doch stehn, und er sah zum ersten Mal ihre Hände ganz nah: sie waren klein und schmal, sehr kindlich, fast erschreckend klein. Ihre Hände zitter- ten…
    »Du hast doch Hunger, wie?«
    »Ja«, sagte er und richtete sich auf und blickte sie an: ihre Au- gen waren feucht.
    Er nahm eine Zigarette aus der Packung, die sie auf dem Tisch liegen hatte, riß sich einen Streifen bunten bedruckten Papiers vom Marmeladenglas und drehte einen Fidibus. Sie sah ihn an…
    »Wie lange warst du weg? Es kommt mir so lange vor, länger
    als der ganze Krieg…«
    Er schlug den Fidibus aus, legte den Rest des angesengten Pa- piers auf den Tischrand und blieb bei ihr am Ofen stehen…
    »Ich mache Kaffee«, sagte sie.
    Er nickte nur. In ihrem Gesicht war etwas wie Verlegenheit; sie waren sich plötzlich sehr fremd. Sie schlug die Augen nieder, riß heftig den Verschluß ihres grünen Pullovers hoch, ordnete den zerknitterten Rock und strich sich übers Haar. Das Wasser brodelte. Sie tat mit einem Löffel Pulver in die Kanne und fing an, mit einer henkellosen Tasse das kochende Wasser in die Kanne zu gießen…
    Als er den Geruch von Kaffee in der Nase spürte, wußte er, daß ihm fast schlecht vor Hunger war. Er setzte sich, drückte die Glut von der Zigarette ab und steckte die Kippe in die Mantelta- sche…
    Sie goß den Rest des Wassers ein, legte den blechernen Deckel des Marmeladenglases über die Kanne und setzte sich neben ihn. Sie fing an, Marmelade auf Brot zu schmieren, langsam und ruhig, aber er sah doch, daß ihre Hände zitterten. Sie legte die Brote auf eine kleine gelbliche Kachel, blickte in die Kaffeekan- ne und goß ihm dann ein…
    »Trink doch mit«, sagte er leise.
    »Wie?«
    »Trink mit.« Sie lächelte, als er ihr ihre Tasse herüberreichte,
    und goß ein…
    Gleich beim ersten Bissen, den er

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