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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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auslösend, ein wunderbares Getränk, dessen Geschmack ihm irgendwie bekannt vorkam, dessen Namen er aber vergessen
    hatte; er fühlte seine Zunge, die die feuchten Lippen berührte,
    und trank wieder, wieder floß es in ihn hinein: wunderbar mild und kühl, und er wußte es plötzlich: es war Wein… Wein.
    Die Dinge auf dem Tisch nahmen ihre wahre Gestalt wieder an, eine dicke Schnitte Brot, wie das Meßbuch, ein Apfel, eine
    Zigarette, ein Paar Socken. Seine Hände füllten sich mit Kraft
    und Leben, und er erkannte vor sich, ganz nah, das bestürzte Gesicht des Kaplans; grau und müde, rötliche Schwellungen unter den Augen; er sah das Glas, nahm es in seine Hand und trank.
    Wein, dachte er und setzte plötzlich erschreckt das Glas ab, stellte es auf den Tisch und sah dem Kaplan in die Augen.
    »Keine Angst«, sagte dieser lächelnd, »keine Angst, es ist Wein – nur Wein – – möchten Sie noch etwas –?«
    »Wenn Sie glauben.«
    »Warum nicht. Es ist Wein.«
    Er trank einen tiefen Schluck und sah zu, wie der Priester das
    zweite Paket öffnete: er entrollte ein viereckiges Kopftuch, aus dem ein Geldschein herausfiel. Seine Augen waren wieder so klar, daß er die 50 erkennen konnte und die gelben Streifen des Kopftuches…
    »Haben Sie denn Wein genug – ich meine Meßwein…«
    »Ja, ja«, sagte der Kaplan – »keine Sorge – für Jahre genug.« Er legte die Sachen auf den Tisch zurück. »Ein paar Tropfen genügen ja, und wir haben den ganzen Vorrat gerettet – außer- dem gibt es neuen. Haben Sie eine Frau?« fragte er lächelnd, faltete das Kopftuch ganz auseinander und hielt sich den zarten bunten Fetzen vors Gesicht…
    Hans schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Ja.«
    Es entstand ein etwas peinliches Schweigen, währenddessen der Kaplan das Tuch wieder zusammenfaltete. Hans setzte das Glas auf den Tisch zurück. Er sah den Priester an, und er wünschte plötzlich, heftig und brennend, bei Regina zu sein.
    »Ich will gehen«, sagte er, »verzeihen Sie…«
    Hans nahm das Paket vom Tisch und sagte: »Also… ich… wir sehen uns noch einmal, hoffe ich…«
    »Ich hoffe es sehr – stellen Sie mir Ihre Frau vor. Warten Sie…«
    Er ging in die Ecke der Sakristei, nahm umständlich einen
    Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete einen großen ver- staubten Schrank. Er kam mit einer rötlich schimmernden Fla- sche zurück, hielt sie Hans hin und sagte: »Von mir haben Sie noch nichts – nehmen Sie das bitte.«
    »Gehört sie wirklich Ihnen…?«
    Der Kaplan lachte: »Nicht ganz, ich habe sie, sagen wir, geret- tet aus dem Keller eines brennenden Hauses: der Besitzer hat sie mir später geschenkt, ich glaube, ich darf darüber verfügen. Auf
    Wiedersehen«, sagte er…
    Hans wartete noch einen Augenblick an der Tür und sah zu, wie der Kaplan die Schiebeschränke schloß. »Warten Sie nicht«, rief er, »ich bleibe noch hier…«
    Hans ging. Er verbeugte sich leicht vor dem Altar und als er
    draußen schneller zu gehen versuchte, schlug die Flasche ihm
    schwer und kalt gegen den Schenkel.

XIV
–––––––––

    Er hörte plötzlich, daß sie gekommen war; ihr Schritt war mü- de, sie verharrte einen Augenblick im Flur; sie schien den Man- tel auszuziehen und im Dunkeln an den Kleiderhaken zu hängen. Dann näherten sich ihre Schritte seiner Tür, und er spürte, daß sein Herz klopfte, sehr heftig und regelmäßig; dann blieb sie vor seiner Tür stehen; er hätte jetzt gerne ihr Gesicht gesehen, und er wartete darauf, daß sie eintreten und nach ihm sehen würde, aber ihre Schritte entfernten sich wieder, und er hörte, daß sie in die Küche ging…
    Er hatte aufstehen wollen, sofort als sie kam, aber er konnte nicht. Die Freude schien ihn zu lähmen. Er lag da und spürte nur das Klopfen seines Herzens…
    Kurz darauf kam sie auf den Flur und hackte Holz. Alles stellte
    sich ihm sehr deutlich dar; wie sie die grob geschlagenen Klötze auf den Boden setzte und blindlings draufschlug im Dunkeln, das Holz nicht spaltend, ihm nur winzige Späne abspleißend. Wenn sie es wenigstens nicht festhält im Dunkeln, dachte er, und sich auf die Finger schlägt. Das Beil war stumpf, er kannte es, aber sie hätte sich doch einen Finger abschlagen oder sehr stark verletzen können. Er hörte, daß sie leise anfing zu fluchen. Oft schlug sie daneben und hieb mit dem schweren Beil auf die Dielen, es verursachte ein leises Zittern der Mauern und des Bodens. Dann schien sie Späne genug zu haben,

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