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Der Engel von Santa Marguerita

Der Engel von Santa Marguerita

Titel: Der Engel von Santa Marguerita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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vielleicht noch interessieren könnte: An den Tassen im Küchenschrank waren überhaupt keine Fingerabdrücke; sie wurden alle abgewischt. Das tun Selbstmörder ganz selten. Meinen Sie nicht auch?“
    „Vielen Dank!“ sagte ich.
    „Keine Ursache. Machen Sie Ihre Sache genauso gut wie im Fall McGowan, Sie Anfänger!“
    „Ja“, sagte ich kleinlaut, „ich will mir Mühe geben. Und Craig läßt Sie bitten, Sie möchten es vorläufig noch nicht an die Boys von der Presse weitergeben.“
    „Hab’ sie schon abgewimmelt. Die Leichenschau wird am Dienstag stattfinden. Bis dahin haben Sie Zeit. Reicht Ihnen das?“
    „Geb’s Gott!“ seufzte ich. Und dann sagte ich nochmals danke und hängte ein.
    „Na“, sagte Craig, „Sie machen ja ein Gesicht wie ein Junge, dem man sein Spielzeug weggenommen hat.“
    „So ungefähr ist mir auch zumute. Er hat alles gewußt. Aber er spielt mit.“
    Craig schüttelte mir lachend die Hand. Er fuhr in Richtung Compton davon, und ich ging zu meinem Wagen. Auf halbem Wege kehrte ich nochmals um und ließ mir vom Portier den zweiten Schlüssel zu Arlenes Apartment geben. Ich fuhr hinauf und schloß es ab. Den Schlüssel steckte ich in die Tasche.
    Dann rollte ich an den Bohrtürmen vorbei nach Long Beach hinunter. Ich fuhr durch bis zum Ocean Boulevard und setzte mich in ein Restaurant am Embarkadero. Ich leistete mir ein opulentes Dinner und besorgte auch für Mr. Smith eine gehörige Portion. Schließlich schaute ich noch bei einer Tasse Kaffee den Booten zu, die sich innerhalb der Wellenbrecher tummelten, und als die Sonne anfing, sich rot zu färben, startete ich nach Santa Marguerita. Unterwegs fiel mir plötzlich ein, weshalb mir das Gesicht von Mrs. Dardington so bekannt vorgekommen war: sie mußte in ihrer Jugend so ausgesehen haben wie der Engel, der vor dem Hause stand.

8

    Auf der gemütlichen Fahrt, die Anaheim Street in Richtung Wilmington entlang, sah ich die Tabelle vor mir, die in einem Unterrichtsraum der Polizeischule in Frisco hing, und die ich vor vielen Jahren auswendig hersagen können mußte. Es war eine große, weiße Papptafel mit schwarzen Buchstaben, und die Überschrift hieß:

    Die beiden wichtigsten Fragen

    Die erste Frage war die nach dem Motiv eines Mordes, die zweite, ob der Täter vermutlich männlich oder weiblich war. Auf der Tabelle waren sämtliche Motive für einen Mord verzeichnet, und wir hatten uns seinerzeit immer wieder darüber gewundert, wie wenig Motive es im Grunde genommen gab. Immer wieder hatten wir versucht, unseren Lehrer mit den tollsten Kombinationen aufs Eis zu führen, aber was immer wir auch ausdachten: es gab nicht mehr Motive. Diese Motivtafel stellte ich mir vor Augen; sie sah folgendermaßen aus:

    Gruppe I: Mord aus freiem Antrieb.
    1. persönliche Vorteile (Gewinnsucht, Ehrgeiz)
    2. Angst
    3. Liebeskomplex (Haß, Eifersucht)
    4. Euthanasie (Tötung aus Idealismus, z. B. bei unheilbarer Krankheit)
    5. Tötung auf Verlangen (evtl. mit anschließendem Selbstmordvorhaben)

    Gruppe II: Mord aus unfreiem Antrieb (Geistesgestörtheit)
    1. geplante und vorbereitete Tötung auf Grund lange dauernder Wahnvorstellungen.
    2. ungeplante, aber vorbereitete Tötung auf Grund momentaner Wahnvorstellungen

    Gruppe III: Grenzfälle
    1. Sexualmord
    2. Mord aus Fanatismus (ohne persönliche Vorteile)
    3. Mord in Hypnose (umstritten!)

    Als ich in den Palos Verdes North Drive einbog, war ich mir darüber im klaren, daß einige Motive in meinem Fall glatt auszuscheiden waren; nämlich die ganze Gruppe III.
    Gruppe II war schon schwieriger. Ich fand kein Argument, was unbedingt gegen die Tat eines Geistesgestörten gesprochen hätte. Diese Burschen können geradezu meisterhafte Mörder sein, die jede Einzelheit bis ins allerletzte Detail überlegt haben.
    Von Gruppe I schied ich zunächst einmal die Tötung auf Verlangen aus. Wenn ich allerdings an einen Selbstmord Arlenes geglaubt hätte, so wäre es unter Umständen einer Tötung auf Verlangen sehr nahe gekommen. Dem widersprach dann aber der Abschiedsbrief, der in solchen Fällen fast immer von beiden gemeinsam verfaßt wird. Schied also aus. Außerdem war der Brief nicht echt.
    Euthanasie fiel als Motiv ebenfalls aus.
    Nach einigem Hin und Her machte ich in Gedanken auch einen Strich durch den dritten Punkt, den Liebeskomplex. Erfahrungsgemäß mordet im Falle der Eifersucht der Täter nur eine Person: entweder die, die er liebt, oder diejenige, die Grund zur Eifersucht gibt. Im Falle

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