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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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würde, das Experiment mit den geklonten Mäusen zu wiederholen. So hatte Victor Hoppe den Rücken frei, um seine eigenen Experimente fortzusetzen. Auch hatte Cremer es arrangiert, dass Victor sich lediglich ihm gegenüber verantworten musste und dass er selbst an Victors Stelle den anderen Wissenschaftlern regelmäßig Bericht erstatten würde. Der Ärztliche Direktor glaubte, mit diesem Schritt selbst die Zügel in die Hand genommen zu haben, doch in Wirklichkeit hatte er sich an Bord des Schiffes begeben, dessen Kurs Victor bestimmte.
     
    ***
     
    In seinem letzten Jahr auf der Internatsschule bekam Victor Hoppe eine Fünf in Religion, und alles in allem war Bruder Rombout damit noch milde. Victor hatte in diesem Jahr schließlich nahezu jegliches Interesse an dem Fach vermissen lassen. So hatte jedenfalls Bruder Rombout die Tatsache interpretiert, dass sein Schüler die Bibel nicht mehr lesen wollte und bei Klassenarbeiten ein leeres Blatt abgab. Der Bruder hatte noch probiert, Victor zur Einkehr zu bewegen, aber kein einziges Gespräch hatte zu irgendetwas geführt. Das fand er schade, denn er hätte Victor gern auf das Gymnasium für Priesteramtskandidaten geschickt.
    Aber Victor wollte Arzt werden. Er hatte das schon ein paar Mal nebenbei erwähnt und demonstrierte es auch, indem er immer mehr Interesse für die Naturwissenschaft an den Tag legte.
    Er lässt die theoretische und dogmatische Lehre des Vaters hinter sich, dachte Bruder Rombout, und entscheidet sich für die praktischen Gesetze von Mutter Natur. Und entsprechend seiner Lehrmethode unterstützte er Victors Entscheidung, indem er ihm Bücher und Hausaufgaben gab, die an diese Interessen anknüpften.
    So entkam Victor also dem Gymnasium für Priesteramtskandidaten. Es hätte allerdings nicht viel gefehlt, und er hätte auch das normale Gymnasium der Brüder der Christlichen Schulen in Eupen nicht besuchen dürfen. Nicht wegen mangelnder Intelligenz, sondern wegen des Schauspiels, das er sich eine Woche vor dem Ende der Grundschule geleistet hatte.
    Ein Schauspiel. Das war es nach Ansicht der Schüler gewesen, die nicht aufhören konnten, sich den Mund darüber zu zerreißen, wenn sie auch reihum zugeben mussten, dass sie so etwas von dem stillen und vorbildlichen Victor nie erwartet hätten.
    Ein gotteslästerliches Schauspiel! So hatte der Abt des Klosters umschrieben, was Victor Hoppe getan hatte. Eine falsche Wortwahl, denn von Laster konnte eigentlich nicht die Rede sein, fand Bruder Rombout, auch wenn er das lieber nicht zur Verteidigung seines besten Schülers gegen den drohenden Schulverweis vorgebracht hatte. Er hatte Victors Intelligenz hervorgehoben. Er hatte gesagt, es wäre schade, das Talent Victor Hoppes wegen eines einzigen Fehltritts verkümmern zu lassen. Er nannte das Geschehen einen Fehltritt, weil er auf die Schnelle kein besseres Wort fand. Er hatte noch an »Irrtum« oder »Patzer« gedacht, aber die Worte hätten Victors Tat nur unzulänglich bezeichnet.
    »Eine Ausfälligkeit!« Abt Eberhard hatte sein eigenes Vokabular.
    »Eine Ausfälligkeit«, hatte Bruder Rombout mit dünner Stimme wiederholt, obwohl er mit dieser Umschreibung keineswegs einverstanden gewesen war. Aber er hatte dem Abt nach dem Mund reden müssen.
    Der Abt hatte Victor schließlich eine viele Seiten umfassende Strafarbeit aufgebrummt und ihm noch eine letzte Chance gegeben. Eine weitere Ausfälligkeit, nunmehr auf dem Gymnasium, und er würde sofort von der Schule fliegen.
    Bruder Rombout war erleichtert, und im Nachhinein war ihm das, was Victor getan hatte, genau wie den anderen Schülern noch am ehesten wie ein Schauspiel vorgekommen. Und genauso wenig wie die Schüler hätte er so etwas je von Victor erwartet. So etwas Theatralisches.
     
    Es war die letzte Juniwoche des Jahres 1955. Die Klassenarbeiten waren bereits geschrieben, und wie jedes Jahr stiegen die Schüler der Abschlussklasse, die diesmal von Bruder Rombout unterrichtet worden waren, auf den Kalvarienberg in La Chapelle. Die Brüder sprachen von einem Schulausflug, die Schüler nannten es eine Wallfahrt, ein Wort, das sie aussprachen, als kauten sie auf etwas Unappetitlichem herum.
    Außer von Bruder Rombout wurden die siebzehn Schüler des siebten Jahrgangs auch von Pater Norbert begleitet, der auf dem Kreuzweg vorausging. Der Kreuzweg befand sich auf dem Altenberg und war 1898 von den Klarissen von La Chapelle aufgrund ihrer »Liebe zum Kreuz« errichtet worden. Die Anstalt mit dem

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