Der Engelmacher
wollte? Natürlich wollte er sie sehen, aber er hatte auch Angst, in etwas hineingezogen zu werden, wovon er sich besser fernhielt. Andererseits wollte er auch endlich Klarheit haben. Deshalb war er gekommen. Und er würde nicht wieder von hier fortgehen, ehe er sie sich nicht verschafft hatte. Deshalb beschloss er, Victor zu folgen.
Der Doktor war nach oben gegangen und erwartete Rex nun vor einer geschlossenen Tür. Er klopfte, aber es kam keine Antwort.
»Vielleicht schläft sie«, sagte Victor, während er die Klinke vorsichtig nach unten drückte. »Die Schwangerschaft nimmt sie sehr mit. Es hat auch schon Komplikationen gegeben.«
Das Zimmer war halb abgedunkelt. In der Mitte stand ein Krankenhausbett aus Metall, das von allen möglichen Apparaten umstellt war. Rex erkannte ein Ultraschallgerät und einen flimmernden EKG-Monitor. An einem Ständer hing eine Infusion, deren Schlauch zu dem Arm der Frau lief, die in dem Bett lag. Unter der Decke war der dicke Bauch bereits zu sehen. Sie muss ungefähr im fünften Monat sein, hatte Rex berechnet.
Victor winkte ihn zum Kopfende des Bettes. Er trat vorsichtig näher und sah, dass sie schwarze, kurz geschnittene Haare hatte. Dann sah er in ihr Gesicht. Volle Wangen, geschlossene Augen, leicht geöffneter Mund. Sie atmete ruhig ein und aus.
Mit einer Geste bedeutete ihm Victor, wieder hinauszugehen. Rex sah sich noch ein letztes Mal nach ihrem Gesicht um. Nach ihrem Bauch. Ob sie wohl wusste, was darin heranwuchs? Scheinbar unabsichtlich stieß er gegen das Bett und verrückte es dabei um einige Zentimeter. Die Frau schrak auf. Sie hatte große dunkle Augen. Äußerlich war sie von Victor Hoppe so verschieden wie der Tag von der Nacht.
Victor war sofort zur Stelle, um sie zu beruhigen.
»Das ist Doktor Cremer«, stellte er Rex vor. »Er ist Ärztlicher Direktor an der Universität von Aachen.«
Rex hatte gesehen, wie ihre Hände unter den Laken instinktiv zu ihrem Bauch gewandert waren, als wolle sie das, was darin war, vor Gefahr beschützen.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er automatisch.
»Es ist anstrengend. Ermüdend«, sagte sie auf Deutsch mit einem leichten Akzent. »Aber der Doktor sagt, dass alles gut wird.«
Es hatte geklungen wie auswendig gelernt, aber vielleicht hatte sie es sich auch nur all die Monate lang selbst eingeflüstert, um durchzuhalten. Rex konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie kaum wusste, was da mit ihr vorging. Sie hatte noch etwas Naives an sich, etwas Kindliches, obwohl sie bereits Ende zwanzig zu sein schien.
Sein Blick wanderte noch einmal zu ihrem Bauch, und er überlegte, ob er danach fragen sollte. Aber er tat es nicht. Er wollte Victor nicht provozieren. Noch nicht.
»Wenn der Doktor das sagt, dann wird es das sicher auch.«
Danach hatten sie das Zimmer verlassen und waren in sein Büro gegangen.
»Weiß sie es?«, hatte er als Erstes gefragt.
»Was?«
»Dass sie vier Kinder bekommt. Vier Jungen. Klone.« Von dir, hatte er noch hinzufügen wollen, es aber nicht über die Lippen gebracht.
»Es sind nur noch drei«, hatte Victor geantwortet. »Eins ist in der Gebärmutter gestorben. Es ist noch da, aber das Herz schlägt nicht mehr.«
»Weiß sie es?«
»Nein.«
»Sie denkt immer noch, dass sie nur ein Kind bekommt, ein Mädchen?«
Victor hatte genickt, und Rex hatte gedacht: Er ist verrückt.
Und doch hatte er nichts gesagt. Ich muss mich aus allem heraushalten, hatte er gedacht und von dem Bericht der Kommission angefangen.
»Ich will das nicht wissen«, hatte Victor ihm das Wort abgeschnitten. »Ich komme sowieso nicht mehr zurück.«
Genau das hatte auch der Rektor vorgeschlagen. Ob Cremer den Doktor nicht davon überzeugen könne zu kündigen. Tatsächlich war dafür nicht viel Überzeugungsarbeit nötig. Victor erklärte sich ohne Zögern dazu bereit, und mit einiger Erleichterung war Rex unmittelbar danach aufgestanden. Den Bericht hatte er auf dem Tisch liegen lassen.
Victor hatte den Besucher zur Tür begleitet. Eines hatte Rex noch wissen wollen: »Wann kommen sie zur Welt? Ungefähr?«
»Am 29. September.«
Victor hatte nicht einmal darüber nachdenken müssen.
III
1
Im Schritttempo überquerte Rex Cremers Wagen den Vaalserberg an dessen höchstem Punkt, vorbei an den vielen vom Dreiländereck angelockten Touristen. Einmal war er hier schon gewesen, als Kind, und von jenem Ausflug hatte er noch lebhaft in Erinnerung, wie er den Baudouin-Turm bestiegen hatte, den er jetzt durch die
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