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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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stand auf einer Ecke der Tischplatte halb zu ihm gedreht, fast wie mit Absicht.
    »Sind sie das?«, fragte er.
    Victor nickte.
    »Darf ich?« Er hatte die Hand bereits ausgestreckt.
    Victor nickte erneut und fügte hinzu: »Es ist ein älteres Foto.«
    Rex nahm den Rahmen und bemerkte, dass seine Hand zitterte. Irgendwie hoffte er immer noch, dass das alles nur erfunden wäre, und obwohl man auf den ersten Blick sah, wie erstaunlich die drei Jungen sich glichen, war er nicht gleich davon überzeugt, dass es tatsächlich Klone waren. Es konnten auch eineiige Drillinge sein, die schlichtweg Victors dominante Merkmale geerbt hatten: das rote Haar und …
    Jede Spalte ist einmalig.
    Victors Worte klangen ihm noch in den Ohren, als hätte er sie erst gestern vernommen und nicht schon vor Jahren. Er betrachtete die Münder der drei Kinder auf dem Foto, aber das Bild war nicht scharf genug, als dass man Details hätte wahrnehmen können. Außerdem – das konnte er sehr wohl sehen – war die Spalte bereits operiert worden. Doch zweifellos besaß der Doktor Fotos von vor der Operation, auch wenn man einen solchen Beweis inzwischen nicht mehr brauchte. Ein britischer Wissenschaftler hatte nämlich inzwischen eine Methode gefunden, den einmaligen genetischen Code eines Menschen zu bestimmen. Anhand eines solchen DNA-Tests konnte unumstößlich bewiesen werden, ob die Kinder wirklich identische Kopien von Victor Hoppe waren oder nicht.
    »Sie werden sich inzwischen stark verändert haben«, fing Rex so neutral wie möglich an. »Wie alt sind sie hier? Ein Jahr in etwa?«
    »Knapp ein Jahr«, bestätigte der Doktor. »Sie haben sich in der Tat sehr verändert.«
    »Da bin ich gespannt.«
    Er hätte die Kinder gern sofort gesehen, aber als Victor erneut das Wort ergriff, wusste er, dass seine Geduld auf die Probe gestellt würde.
    »Ich habe probiert, es aufzuhalten.« Es klang nicht wie eine Entschuldigung. Eher wie eine Mitteilung.
    »Was aufzuhalten?«
    »Es ging zu schnell.«
    »Was? Ich verstehe Sie nicht.«
    »Die Telomere einiger Chromosomen waren viel kürzer als normal.«
    Rex sah ihn verständnislos an, was der Doktor falsch auffasste.
    »Sie wissen doch, was Telomere sind?«, fragte er.
    »Natürlich weiß ich, was Telomere sind. Ich verstehe nur nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    Aber noch während er das sagte, fing es an, ihm zu dämmern. Die Telomere waren eine lange Reihe von Bausteinen am Ende eines jeden Chromosoms in einem Zellkern, und sie lieferten die Energie für die Zellteilung. Bei jeder neuen Teilung ging ein kurzer Abschnitt dieser Telomere unwiederbringlich verloren, weil er vor der Zellteilung nicht mitverdoppelt wurde. Je öfter eine Zelle sich teilte, desto kürzer wurden die Telomere. Je älter also der Organismus, desto mehr nahm die Fähigkeit zur Zellteilung ab, und desto weniger war noch übrig von den Telomeren.
    »Schon kurz nach ihrer Geburt«, erklärte Victor, »kam ich dahinter, dass die Telomere des vierten und des neunten Chromosoms viel kürzer waren als die der anderen.«
    Eigentlich wollte Rex das Weitere nicht hören. Je mehr er wüsste, desto mehr würde er in die Sache hineingezogen. Auch wenn ihm schon klar war, was der Doktor sagen wollte. Eine der Fragen, die Biologen sich schon oft gestellt hatten und auf die sie noch keine Antwort gefunden hatten, bezog sich auf die effektive Lebensdauer der Klone. Weil die Zelle, die den Spenderkern lieferte, von einem ausgewachsenen Organismus abstammte, waren die Körperzellen des Klons bei der Geburt immer viel älter als Zellen, die bei einer normalen Befruchtung entstanden. Ging es darum? War dabei etwas schiefgegangen?
    Allmählich wurde ihm wieder beklommen zumute.
    »Bedeutet das …«, setzte er an, wurde aber abrupt unterbrochen.
    »Ich habe versucht, es aufzuhalten.« Der Doktor hatte die Stimme leicht erhoben. Verzweiflung schwang darin mit. Es war das erste Mal, dass Rex Verzweiflung bei Victor wahrnahm. Oder nein, schon einmal hatte es eine solche Situation gegeben, als Victor ihn am Telefon um Hilfe gebeten, ja geradezu angefleht hatte, nachdem gleich vier Embryonen zu Föten herangewachsen waren.
    »Aber ich gebe mich nicht geschlagen«, sagte er dann entschlossen. Mit einem Mal schien die Verzweiflung verflogen. Dann sagte er nichts mehr, obwohl Rex nun gerne mehr erfahren hätte.
    »Die Telomere des vierten Chromosoms, sagten Sie, Doktor Hoppe? Wie viel kürzer sind sie?«
    Victor starrte auf das Foto, das Rex noch immer

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