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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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Direktor es ausdrückte, auf welchem Gebiet sein Talent am meisten zu seinem Recht käme.
    Er könne beispielsweise an die onkologische Abteilung gehen und sich dort auf Krebsforschung spezialisieren. In der Geriatrie könne er sich in Diagnose und Prävention von Infektionskrankheiten bei älteren Menschen vertiefen. Aber Doktor Bergmann konnte sich den jungen Mann auch gut in der Embryologie vorstellen, wo gerade ein Forschungsprojekt zur In-Vitro-Fertilisation ins Leben gerufen wurde, das der Ärztliche Direktor selbst leiten würde.
    Der Rektor hatte Victor Hoppe während der Erläuterungen Doktor Bergmanns aufmerksam beobachtet. Der junge Mann hatte keinerlei Enthusiasmus an den Tag gelegt und keine Fragen gestellt. Lediglich genickt hatte er ab und zu, wohl eher aus Höflichkeit.
    »Eigentlich ist es ganz einfach, Victor«, ergriff der Rektor schließlich selbst das Wort. »Wenn Sie promovieren möchten, und das hoffen wir natürlich, haben Sie die Wahl zwischen Onkologie, Geriatrie oder Embryologie, oder anders gesagt, zwischen Leben retten, Leben verlängern oder Leben schenken.«
    Mit dem Zeigefinger deutete er auf die Namen der drei Bereiche, die Doktor Bergmann aufgeschrieben hatte. Dabei wiederholte er: »Leben retten. Leben verlängern. Leben schenken.«
    »Leben schenken«, sagte Victor, aber in einem Tonfall, der offen ließ, ob er seine Entscheidung kundtat oder noch einmal nachfragen wollte.
    »Leben kreieren«, erklärte der Rektor, erfreut darüber, dass er zumindest Victors Aufmerksamkeit gewonnen hatte. »Leben erschaffen.«
    Und indem er an Victors Bibellektüre dachte, fügte er hinzu: »Leben schenken. Wie Gott.«
    Leben schenken. Wie Gott.
    Victor sah es als einen Fehdehandschuh, der ihm zugeworfen wurde. Als Herausforderung.
    Gott gibt und Gott nimmt, Victor. Aber nicht immer. Manchmal müssen wir es selbst tun. Merk dir das.
    Plötzlich hatte er es verstanden. Und plötzlich hatte er wieder ein Ziel vor Augen.
     
    ***
     
    Am 15. Juni 1984 war Rex Cremer nach Bonn gefahren. Tags zuvor hatte Doktor Hoppe einen Anruf des Rektors erhalten, der ihn um ein persönliches Gespräch gebeten hatte, nachdem nunmehr der Bericht der Untersuchungskommission abgeschlossen sei, aber dies hatte er abgelehnt.
    »Schicken Sie ihn mir ruhig mit der Post«, hatte er gesagt, ohne sich auch nur nach dem Inhalt zu erkundigen.
    Damit hatte der Rektor sich schwer getan, und so hatte Cremer vorgeschlagen, Doktor Hoppe persönlich aufzusuchen, um ihm den Bericht zu übergeben. So hatte er endlich einen guten Vorwand gehabt, nach zwei Monaten wieder mit Victor zu sprechen.
    Er parkte sein Auto vor dem Reihenhaus, an dem noch immer ein Schild hing, auf dem zu lesen stand, dass Victor Hoppe Fruchtbarkeitsarzt war. Er hatte sich nicht angekündigt und hoffte, dass Victor überhaupt zu Hause war. Ob er ihn einlassen würde, war noch einmal eine andere Frage.
    Als Rex klingelte, bemerkte er, dass seine Hand zitterte. Er hörte ein Geräusch hinter der Tür, und als der Doktor öffnete, fiel dem Ärztlichen Direktor auf, dass sein Bart länger geworden war.
    Victor sah ihn flüchtig an und schweifte dann mit dem Blick zur Straße ab, wie um zu sehen, ob noch jemand mitgekommen war.
    »Ich habe den Bericht der Kommission dabei«, sagte Rex. »Der Rektor hat mich gebeten, ihn mit dir zu besprechen.«
    Der Doktor reagierte nicht.
    »Vielleicht gehen wir besser ins Haus«, schlug der Ärztliche Direktor vor. »Es scheint mir etwas schwierig, das hier auf der Straße zu erörtern.«
    »Glauben Sie mir noch?«, fragte Victor plötzlich.
    Rex war überrumpelt, nicht nur von der Frage, sondern auch von der Anredeform. Sie hatten damals schon sehr bald angefangen, einander zu duzen, und nun hatte Victor plötzlich das Sie benutzt, wie um zu unterstreichen, dass zwischen ihnen eine Distanz entstanden war.
    »Die Kommission sagt nicht, dass sie Ihnen nicht glaubt«, antwortete er nach einigem Zögern. »Allerdings hegt sie Zweifel an der Qualität Ihrer Forschungen.«
    »Ich spreche nicht von der Kommission. Ich spreche von Ihnen. Glauben Sie mir noch?«
    Die Direktheit der Frage ließ keine Ausflüchte zu.
    »Ich habe meine Zweifel.«
    »Wollen Sie sie sehen? Glauben Sie es dann? Wenn Sie es sehen?«
    Die Sätze hatten geklungen wie ein Vers. Er hatte sie in einem einzigen, straffen Rhythmus ausgesprochen. Aber völlig emotionslos. Dann hatte er sich umgedreht und war ins Haus gegangen.
    Rex blieb verdutzt stehen. Ob er sie sehen

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