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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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er sich mit Vater ansprechen. Genauso wie jener andere Schöpfer, gegen den er seinen Kampf führte. Und die erste Schlacht hatte er bereits verloren. Er, Victor Hoppe, hatte versagt. Die Kinder waren mit zu kurzen Telomeren auf die Welt gekommen. Diese Mutation war noch schlimmer als die andere, die ihnen das Gesicht verschandelt hatte. Die Hasenscharte war schon von Anfang an in ihren Genen enthalten gewesen. Das war eine natürliche Missbildung. Aber nicht für Victor. In dessen Augen war seine Hasenscharte ein Fehler Gottes, ein Fehler, der ausgebessert werden musste. Den er ausbessern würde.
    Aber Victor hatte selbst einen Fehler begangen. Im Prozess des Klonens hatte er eine andere Mutation verursacht, und vier Jahre lang hatte er versucht, diese zu revidieren. Alles hatte er unternommen, um den Alterungsprozess der Kinder aufzuhalten. Nicht so sehr, um ihnen das Leben zu retten, als um seinen eigenen Fehler auszubessern und dadurch die Schlacht doch noch zu gewinnen.
    So musste es gewesen sein. So weit konnte Cremer es nachvollziehen oder meinte zumindest, es nachvollziehen zu können. Aber konnte er all dies zulassen? Konnte er Victor Hoppe im Interesse der Forschung unbehelligt weiterarbeiten lassen? Oder musste man auch einem Genie Einhalt gebieten, wenn es so deutliche Anzeichen von Wahnsinn an den Tag legte?
    Diese Fragen hatten ihn seither nicht mehr losgelassen, und er kannte die Antworten. Aber er hatte die Stimme in seinem Kopf fortwährend ignoriert, weil er Angst gehabt hatte, in die Sache hineingezogen zu werden. Und dadurch war sein Schuldgefühl immer größer geworden.
    Aber dann hatte er diese Frau am Telefon gehabt. Erst hatte er es für einen faden Witz gehalten, aber schon bald war ihm klar geworden, dass es tatsächlich die nämliche Frau war. Weniger die Mutter als vielmehr die Leihmutter. Aber das hatte er nicht gesagt. Das war nicht seine Aufgabe. Er hatte ihr den Weg zu Victor Hoppe gewiesen. Und dadurch war er einer Zwickmühle entkommen.
     
    »Es sind Jungen. Drei Jungen.«
    Das hatte Doktor Hoppe plötzlich gesagt. Sie war im achten Monat. Ihr Bauch prall wie eine Trommel, auch wenn die Schläge, die sie ständig spürte, von innen kamen. Der Doktor hatte eine letzte Ultraschalluntersuchung vorgenommen. Bisher hatte er dabei kaum etwas Wesentliches mitgeteilt. Er hatte sie selten auf Details aufmerksam gemacht. Der graue Fleck da, hatte er meist nur kommentiert, aber sie hatte immer nur schwarze Flecken gesehen, auch wenn sie das nicht gesagt hatte. Sie war sich sowieso immer dumm vorgekommen. Wenn er am Ende der Ultraschalluntersuchung sagte, dass alles in Ordnung war, dann reichte ihr das. Aber bei diesem letzten Mal hatte sie plötzlich zu hören bekommen: »Es sind Jungen. Drei Jungen.«
    »Was?«
    »In Ihrem Bauch wachsen drei kleine Jungen heran.«
    »Das kann nicht sein. Das ist unmöglich. Das ist ja wohl ein Witz.«
    »Wollen Sie sie sehen? Schauen Sie her.«
    Und ausführlich hatte er ihr auf dem Monitor mit einem Stift alles gezeigt. Und sie hatte hingestarrt und mitgezählt, während ihr zunehmend schwindlig geworden war.
    Sechs Augen. Sechs Hände. Drei Herzen. Drei schlagende Herzen. Und drei Penisse. So hatte der Doktor es gesagt.
    »Sie hatten mir eine Tochter versprochen«, hatte sie mühsam herausgebracht. »Sie haben immer gesagt, es ist ein Mädchen.«
    »Das habe ich nie gesagt. Das haben Sie sich selbst eingeredet.«
    »Das kann nicht wahr sein. Das kann einfach nicht wahr sein.«
    »Erst waren es vier. Am Anfang. Vier Jungen.«
    Fassungslos hatte sie den Kopf geschüttelt.
    »Hier«, hatte er gesagt und ihr auf dem Monitor eine Kontur angedeutet. Eine Maus. Oder ein Hamster. So ähnlich hatte es ausgesehen.
    »Vor fünf Monaten gestorben.«
    Sie hatte das Gefühl gehabt, sich übergeben zu müssen. Den Inhalt ihres Bauches ausspeien zu müssen. Aber es kam nichts heraus. Sie würgte lediglich.
    Als der Doktor das Gel abwischen wollte, hatte sie seine Hand von ihrem Bauch weggeschlagen.
    »Weg!«, hatte sie geschrien. »Machen Sie es weg! Machen Sie sie alle weg! Alle! Weg! Weg!«
    »Morgen. Das geht erst morgen.«
    »Jetzt! Jetzt! Jetzt!« Sie fing an, mit den Fäusten auf ihren Bauch einzuhämmern. »Ich will es nicht! Ich will es nicht!«
    Er hatte ihre Handgelenke festgehalten und sie mit Riemen am Bett festgeschnallt.
    »Sie müssen ruhigbleiben. Das ist nicht gut für die Kinder.«
    Sie fing an, in die Luft zu treten. Sie krümmte sich, soweit sie

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