Der Engelmacher
schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht recht, Herr Doktor. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Es ist …«
»Wenn Sie möchten, können Sie noch einmal einen Sohn bekommen.«
»Einen Sohn?«, fragte Vera und schluckte.
»Einen Sohn, der haargenau so aussieht wie Gunther. Das ist machbar. Nichts ist mehr unmöglich.«
»Aber, Herr Doktor«, setzte Lothar zögernd an, »wird er dann … wird er dann auch …«
Er sah kurz zu seiner Frau hinüber, aber die starrte mit leicht geöffnetem Mund ins Leere.
»Wird er dann auch …«, sagte er noch einmal und tippte sich rasch ans rechte Ohr.
»Nein, er wird nicht taub sein«, antwortete Doktor Hoppe bestimmt, woraufhin Vera erneut in Schluchzen ausbrach.
Lothar seufzte und dachte kurz nach.
»Wir müssen das doch jetzt nicht sofort entscheiden«, sagte er dann, leicht panisch. »Das müssen wir doch nicht.«
»Nein, ich teile es Ihnen nur mit«, sagte der Doktor gelassen. »Denken Sie in Ruhe darüber nach. Und Sie auch, Frau Weber, Sie auch. Sie brauchen sich keineswegs in den Willen Gottes zu ergeben.«
Damit wandte er sich ab. Lothar stand auf, aber der Doktor winkte ihm hinter seinem Rücken mit der Hand.
»Bleiben Sie ruhig bei Ihrer Frau, Herr Weber, ich finde schon hinaus.«
Lothar nickte und sank wieder auf den Rand des Bettes. Er sah dem Doktor nach, der mit aufrechtem Gang das Zimmer verließ. Seine Haltung strahlte eine Selbstsicherheit aus, auf die er neidisch war, aber zugleich flößte sie ihm auch Respekt ein. Seine Frau schluchzte, und ihm fiel ein, dass er gar nicht mehr nach den Pillen gefragt hatte, die das Leben leichter machen sollten. Er seufzte und wandte sich ihr zu.
»Vera …«, sagte er.
Seine Frau hob den Kopf. Ihre Augen waren feucht und gerötet. Sie hob kurz die Hand, ließ sie aber gleich wieder in den Schoß sinken.
»Wir haben gar nicht gefragt, wie es seinen eigenen Kindern geht«, seufzte sie.
Die Feiertage gegen Ende des Jahres brannten Lothar und Vera Weber im Gemüt wie Salz in einer Wunde, und auf der Suche nach Halt hatten sie zu Neujahr, nach dem Abendmahl, Pastor Kaisergruber angesprochen.
»Müssen wir uns in den Willen Gottes ergeben oder nicht?«, hatte Vera ihn gefragt.
Der Priester hatte daraufhin von Hiob erzählt, der von Gott auf die Probe gestellt worden war, nachdem der Teufel ihn herausgefordert hatte.
»Gott nahm Hiob sein ganzes Hab und Gut und auch seine Kinder. Und dennoch verfluchte der arme Mann Gott nicht. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, sagte er. Und dann schlug der Herr Hiobs Körper mit bösen Schwären vom Fuß bis zum Scheitel. Und Hiob sagte: Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?«
Der Priester hatte wie immer seine Ansprache mit vielen Gebärden begleitet und mit einer leicht vibrierenden Stimme gesprochen.
»Versteht ihr, was Hiob meint?«, hatte er dann zu Vera gesagt. »Ihr habt ein Dach über dem Kopf, fahrt einen schönen Wagen, Lothar hat eine gute Arbeitsstelle … das alles nehmt ihr Gott ja schließlich auch nicht übel.«
»Ich würde all das gerne hergeben, wenn ich dafür Gunther zurückbekäme«, hatte Vera Weber geseufzt.
»Die Geschichte ist noch nicht zu Ende«, war Pastor Kaisergruber fortgefahren. »Weil Hiob sich in den Willen Gottes ergeben hatte, wurde er hinterher reichlich von ihm belohnt. Hört zu …«
Der Priester hatte die Bibel zur Hand genommen und vorgelesen: »Er kriegte vierzehntausend Schafe und sechstausend Kamele und tausend Joch Rinder und tausend Eselinnen. Und kriegte sieben Söhne und drei Töchter.«
»Was sollen wir denn mit den ganzen Tieren?«, hatte Lothar gefragt.
»Das ist doch nur …«, hatte der Priester schon begonnen, doch dann hatte er das Lächeln in Lothars Gesicht gesehen und begriffen, dass der nur einen Witz gemacht hatte.
»Schon verstanden«, hatte Lothar gesagt, und seine Frau hatte stillschweigend genickt.
An jenem Abend versuchte er, sich ihr zu nähern, und zum ersten Mal seit Jahren verschloss sie sich ihm nicht. Aber sie lag da, steif wie ein Brett, und nach kaum zwei Minuten wälzte sie sich unter ihm hervor.
»Das Risiko ist viel zu groß«, sagte sie. »Wenn nun …«
»Wir müssen uns in den Willen Gottes ergeben«, sagte Lothar.
»Aber wir dürfen Gott auch nicht herausfordern.«
Lothar seufzte. Er spürte, wie sein Geschlecht in sich zusammenschrumpfte.
»Was willst du denn dann?«, fragte er, obwohl er sich die Antwort schon denken
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