Der Engelmacher
Zuneigung zu erwidern. Es war zwar noch immer, als hätten sie alle drei eine Mauer um sich herum errichtet, aber sie hatte das Gefühl, dass sie doch schon ein paar Löcher in den Wall hatte schlagen können. Wenn sie kam, war beispielsweise der Ausdruck auf den Gesichtern der drei deutlich anders, als wenn sie wegging. Wer die Kinder zum ersten Mal sah, hätte diesen Unterschied wahrscheinlich nicht bemerkt, aber sie wusste inzwischen, auf welche Kleinigkeiten sie achten musste: ein Zucken im Mundwinkel, ein Augenaufschlag, eine unmerkliche Handbewegung.
»Frau Maenhout bleiben«, hatte Michael sogar gesagt, als sie das letzte Mal weggegangen war, so als hätte er schon so eine Ahnung gehabt, dass sie diesmal notgedrungen länger wegbleiben würde.
»Wau aanout jeiwen.« So hatte es geklungen.
Die Kenntnisse der Kinder waren inzwischen immer größer geworden. Frau Maenhout schätzte, dass sie ihren Altersgenossen mindestens ein halbes Jahr voraus waren. Sie verstanden beinahe alles, was sie sagte, und konnten auch selbst schon einfache Sätze auf Deutsch und Französisch bilden. Außerdem setzten sie hölzerne Puzzles zusammen, die für Kinder von anderthalb gedacht waren, und konnten Gegenstände, die sie in Bilderbüchern oder Comics erkannten, immer gleich mit Wörtern benennen.
Körperlich waren sie allerdings etwas langsamer. Sie konnten immer noch nicht laufen und hatten auch Probleme mit der Feinmotorik. Das zeigte sich zum Beispiel, wenn sie ohne fremde Hilfe zu essen oder Gegenstände festzuhalten versuchten. Aber das kommt bestimmt daher, weil ich meine Zeit immer zwischen den dreien aufteilen muss, dachte Frau Maenhout. Sie konnte sich nicht genug mit jedem einzelnen Kind beschäftigen. »Ich habe auch nur zwei Hände!«, rief sie oft.
Außerdem vermutete sie, dass der Doktor sich kaum mit den Kindern beschäftigte, wenn er mit ihnen allein war. Er setzte sie in ihre Kinderwippen oder in den Laufstall und kümmerte sich nicht mehr um sie, außer um sie wieder mal zu untersuchen.
»Ist der Doktor nicht zu Hause?«, rief plötzlich eine Jungenstimme.
Frau Maenhout erschrak. Der Doktor hatte sich noch nicht blicken lassen, und die Jungen vom Dorfplatz waren ihr nachgelaufen. Robert Chevalier hatte sie aus gebührendem Abstand heraus angesprochen.
»Doch, doch«, sagte sie, als die drei Jungen sie eingeholt hatten, »er kommt gleich.«
»Wie geht es denn den drei Brüderchen?«, fragte der lange Meekers.
»Sehr gut. Und dir? Du scheinst ja immer noch zu wachsen. Nicht mehr lange, und du bist größer als ich.«
»Der Doktor sagt, ich werde bestimmt zwei Meter groß«, antwortete der Junge nicht ohne Stolz. »Neulich hat er noch meinen Kieferknochen gemessen.«
»Sein-Vater-zieh-ihm-imma-die-Ohren-lang!«, bemerkte Gunther Weber . »Da-rum-isser-soo-groß!«
»Und dir haut er immer drauf!«
»Nicht streiten, Jungs.«
Frau Maenhout sah zur Haustür hinüber, die immer noch nicht aufgehen wollte.
»Mein Vater sagt, die Kinder vom Doktor sind Genies«, sagte Robert Chevalier.
»Dje-was?«, rief Gunther und zeigte auf seine Ohren.
»Ge-nies«, artikulierte Robert nun deutlich. »Wun-der-kinder.«
»Das seid ihr doch alle«, sagte Frau Maenhout mit einem Augenzwinkern und sah, wie allen dreien vor Stolz die Brust schwoll. »Hier, ich hab was für euch.« Sie stellte ihre Korbtasche ab und fischte aus dem Einkaufswägelchen die Tüte mit den Spekulatius heraus.
»Von Tante Martha aus dem Laden«, sagte sie und war erleichtert, dass sie zumindest jemandem mit den Keksen eine Freude machen konnte.
»Hmmm!«, machte Gunther.
»Danke sehr, Frau Maenhout«, sagten der lange Meekers und Robert Chevalier gleichzeitig und griffen begierig nach den Keksen.
»Da-is-der-Dok-toor.«
Gunther deutete auf das Haus. Doktor Hoppe hatte die Tür geöffnet und kam die kleine Treppe herunter. Frau Maenhout machte die Spekulatius-Tüte zu und steckte sie wieder in das Wägelchen.
»Dürfen wir mal zum Spielen kommen?«, fragte der lange Meekers schnell.
»Später, wenn die Kinder vom Herrn Doktor ein bisschen größer sind.«
»Tag, Herr Doktoor«, brachte Robert schmatzend hervor.
Der Doktor nickte und öffnete das Tor. »Kommen Sie herein, Frau Maenhout.«
»Sollen wir tragen helfen?«, fragte der lange Meekers.
Der Doktor tat, als hätte er nichts gehört. Er bückte sich, nahm die Korbtasche und sagte noch einmal: »Kommen Sie herein, Frau Maenhout, die Kinder sind allein.«
Der lange Meekers sah
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