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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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seine Freunde an und verzog das Gesicht. Frau Maenhout nahm den Griff ihres Wägelchens und nickte den Jungs zum Abschied zu. Sie sahen ihr hinterher, während sie den Pfad zum Haus entlangging. Bei der Haustür nahm der Doktor ihr das Einkaufswägelchen ab.
    »Wie geht es den Kindern, Herr Doktor? Alles in Ordnung?«, fragte Frau Maenhout noch zwischen Tür und Angel.
    Sie bekam keine Antwort. Er blieb kurz stehen und ließ sie vorbeigehen.
    »Ich bringe das alles in die Küche«, sagte er. »Gehen Sie schon mal vor.«
    Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Mit großen Schritten eilte sie den Gang entlang.
    »Frau Maenhout?«, hörte sie seine Stimme in ihrem Rücken. In seinem Tonfall lag etwas Zwingendes.
    Sie sah ihn über die linke Schulter hinweg fragend an und meinte, sein linkes Augenlid kurz zittern zu sehen. Wie bei seinen Kindern, wenn sie angespannt waren.
    »Es ist etwas vorgefallen, Frau Maenhout.«
    Und wieder zitterte sein Augenlid.

6
    Als ein Jahr nach der Ankunft Doktor Hoppes die Ruhe in Wolfheim vollständig wiederhergestellt war, konnten die Besen sich wieder ihrer ursprünglichen Aufgabe zuwenden. Im Winter räumten sie den Schnee von den Bürgersteigen, im darauffolgenden trockenen Sommer fegten sie den staubigen Sand fort, der vom Gipfel des Vaalserbergs ins Tal geweht kam, und im Herbst kehrten sie auf dem Dorfplatz die toten Blätter zusammen, die die alte Linde von ihren Zweigen schüttelte. All die Zeit über erledigte Doktor Hoppe seine Aufgabe vorbildlich und erlöste mit seinen selbst gemachten Arzneisäften, Salben und Pillen die Dorfbewohner von Hustenanfällen, Sonnenbränden, Grippe-Infektionen, Nierensteinen und anderen Leiden. Ein neues Wunder blieb zwar aus, aber so etwas braucht eben seine Zeit, und es geschieht immer dann, wenn man es nicht erwartet. So hatte es Pastor Kaisergruber bei einer seiner sonntäglichen Predigten verkündet. Allerseits wurde jedenfalls mit viel Respekt vom Herrn Doktor gesprochen, und nur selten hörte man noch Bemerkungen über seine Kinder, obwohl sich immer mehr Einwohner fragten, warum keines der drei sich jemals blicken ließ, nicht einmal in unmittelbarer Nähe des Hauses. Den Winter über war niemand argwöhnisch geworden – es war wochenlang bitterkalt gewesen –, aber als auch der schöne Frühling und der warme Sommer vorbeigingen, ohne dass man die Kinder zu Gesicht bekommen hätte, wurden die ersten Augenbrauen hochgezogen.
    Allerdings machte sich niemand ernsthaft Sorgen, denn an den hohen Stimmen, die ab und zu im Wartezimmer zu vernehmen waren, konnten die Patienten hören, dass die Drillinge wohlauf waren. Im Übrigen bestätigte der Doktor selbst dies ebenso bereitwillig wie Frau Maenhout, die immer noch fast täglich mehrere Stunden bei ihm war.
    Dennoch waren nach einiger Zeit zwei Geschichten im Umlauf, die erklären sollten, warum die Kinder allen Blicken verborgen blieben. Léon Huysmans, der irgendwann einmal ein Jahr lang erfolglos Medizin an der Universität von Lüttich studiert hatte, meinte, sie hätten vielleicht Elefantiasis – eine Krankheit, bei der die Köpfe allmählich immer mehr wie Elefantenköpfe wurden. Er war zu diesem Schluss gelangt, weil schon monatelang dasselbe Foto auf dem Schreibtisch des Doktors stand, eine Polaroid-Aufnahme, auf der die Kinder ein knappes Jahr alt waren. Ihre Köpfe waren damals schon groß gewesen, und vermutlich war die Veränderung seitdem so schnell vor sich gegangen, dass der Doktor kein anderes Foto aufzustellen wagte, obwohl er Martha Bollen zufolge weiterhin Kassetten für seine Polaroid-Kamera kaufte. Helga Barnard war hingegen eines Tages mit einem Artikel aus Reader’s Digest angekommen, in dem es um Menschen ging, die allergisch auf Sonnenlicht reagierten und deshalb im Dunkeln leben mussten.
    »Wenn sie ins Tageslicht kommen, kriegen sie sofort Verbrennungen auf der Haut. So was muss es sein.«
    Erst im September 1986 kam teilweise die Wahrheit heraus, nämlich als Irma Nussbaum eines Abends zum x-ten Male zu Doktor Hoppe in die Sprechstunde ging, diesmal um ihren Blutdruck kontrollieren zu lassen. Bei anderen Gelegenheiten hatte sie Rückenschmerzen, dann wieder klagte sie über Ohrensausen oder Vergesslichkeit, mitunter meinte sie auch, mit ihrem Magen oder Darm sei etwas nicht in Ordnung, während ihr Mann behauptete, sie bilde sich das alles nur ein.
    Der kleine Julius Rosenboom, der wegen seiner Zuckerkrankheit jeden Tag eine Spritze bekommen musste, saß

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